Textatelier
BLOG vom: 09.10.2005

Unter Kontrolle: Rückreise Köln–Zürich und Reise-Allerlei

Autorin: Rita Lorenzetti

Köln Hauptbahnhof. Unser Zug war eingefahren. Grosses Gedränge. Durch dieses hindurch zwängt sich ein Bahnbeamter und stürmt dann durch die Wagen. Offensichtlich muss er noch etwas erledigen, bevor der verspätet eingetroffene Zug weiterfahren darf. Ich vergesse diese Beobachtung aber gleich wieder. Die Heimreise beginnt.

Letzte Grüsse an unsere Freunde. Winken. Ade! Für Sekunden nochmals auf Kirchtürme und Hochhäuser schauen. Ins Polster sinken und wissen, jetzt gehts heimwärts. In Bonn steht unser Zug dann aussergewöhnlich lange still. Über Lautsprecher werden wir informiert, es müsse eine polizeiliche Kontrolle stattfinden. Man bitte um Verständnis und Geduld. Andächtige Stille im ganzen Wagen. Was steht uns bevor? Jetzt hasten mehrere Kontrolleure durch die Wagengänge. Plötzlich kommt einer zurück, hält abrupt neben meinem Sitznachbarn an und verlangt dessen Ausweis. „In Ordnung! Danke!“, heisst es, nachdem dieser überprüft worden ist.

Diesen jungen Mann habe ich beim Einfinden am reservierten Platz als eine höfliche und zuvorkommende Person wahrgenommen, und ich hätte mir nicht vorstellen können, was er verbrochen haben könnte. Auch er ist ratlos, sagt vor sich hin: „Die haben mich als Kriminellen angesehen!“

Dann fährt der Zug weiter. Nach geraumer Zeit, als ich die beschriebene Episode schon etwas vergessen habe, wird über Lautsprecher informiert, warum die Kontrolle stattfand. Eine hilfsbedürftige Person sei aus einer psychiatrischen Klinik entwichen und soll sich in unserem Zug befinden. Ob sie diese nun gefunden haben, wird aber nicht mitgeteilt. Jetzt lachen alle, als des Rätsels Lösung bekannt ist, verlegen auch der Verdächtigte. Aber es bleibt eine fragende Stille. Niemand spricht. Denken andere auch darüber nach, wie rasch wir abqualifiziert oder sogar vorverurteilt werden könnten. Noch bevor mein Sitznachbar in Koblenz aussteigt, sage ich zu ihm: „Sie können heute Abend etwas erzählen.“ „So ist es. Tschüüss.“

Und wir reisen weiter, geniessen den Abschnitt, der uns dem Rhein entlang führt. Der Computer hat uns einen Fensterplatz auf der richtigen Seite zugesprochen. Wir danken ihm. Ich geniesse diese Strecke ganz besonders, schaue auf Schiffe und Transportkähne und natürlich auf den Felsen der Loreley. Dem Rhein zu begegnen, fasziniert mich immer. Wir sind Freunde. Ich kenne seinen Ursprung, den Tomasee. Primo zwinkert mir zu. Er weiss von meiner Begeisterung.

Dösend erreichen wir den badischen Bahnhof in Basel. Die Bahnbegleitung wechselt. Schweizer Bahnbeamte wollen die Fahrkarten sehen. „Züri!“ ruft jener, der unsere Billette entwertet, „Chönd grad sitze bliibä!“ (Zürich. Sie können sitzen bleiben.)

Wauw! Wir sind wieder in unserem Land. Wir hören unsere Sprache. Dieser eine Satz elektrisiert mich und beendet unsere Ferien. Ab jetzt muss ich nicht mehr aus dem Fenster schauen. Ich entdecke kein Neuland. Ab jetzt spult der innere Film die letzten beiden Wochen aber in mir ab.

Wenn ich von Zürich wegfahre und jeweils den Schienensträngen zuschaue, wie sie sich verdichten und dann wieder auseinander driften, denke ich öfters an den Text, der an der kleinen Kirche in Hospenthal, einer wichtigen Kreuzung früherer Säumer- und Pilgerwege, zu lesen ist. Es heisst da:

Hier trennt der Weg, o Freund, wo gehst du hin. 

Willst du zum ewigen Rom hinunterziehn. 

Hinab zum heilgen Köln, zum deutschen Rhein.

Nach Westen, weit ins Frankenland hinein?

Wanderer müssen ihre Weichen immer noch selber stellen. Uns Bahnfahrenden aber ist jede Entscheidung abgenommen. Wir nennen nur noch das Ziel, erhalten eine Fahrkarte und die dazugehörige Abfahrtszeit und alles ist für uns geregelt. Um keine Abzweigung müssen wir uns selber kümmern. Und Wegelagerer im alten Sinn sind ausgeschlossen. Aber manchmal gibt es auch auf einer solchen Bahnreise noch eine Überraschung.

Blogs zu Rita Lorenzettis Deutschland-Reise

28. 09. 2005: „Von Köln Richtung Aachen: Lebensräume, grüne Auen“

03. 10. 2005: „Einmalig: Konzert mit Gemshörnern und Cornamusen“

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