Textatelier
BLOG vom: 30.07.2007

Tour de France (Farce): Hodenpflaster und Spritze in den Po

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Als vor einigen Jahren die Tour de France auch das Markgräflerland streifte, reisten etliche Arbeitskollegen von mir dort hin, um Jan Ullrich und weitere Helden des Radsports anzufeuern. Sie taten dies auch, sie wunderten sich nur, dass das Hauptfeld mit einer affenartigen Geschwindigkeit an ihnen vorbei sauste, und sie die Topsportler kaum näher in Augenschein nehmen konnten. Nur die Langsamen, also die Ehrlichen am Schluss, sahen sie länger. Aber die waren uninteressant, wichtig waren die Lieblinge der Nation. Noch lange danach schwärmten sie von diesem Sportereignis.
 
Heute denken viele dieser sportverrückten Fans ganz anders. Nach Bekanntwerden der Dopingfälle ist ihre Begeisterung für diese Sportart merklich abgeschwächt. So mancher würde nicht mehr am Rand der Strasse geduldig warten und den Betrügern zujubeln. Es gibt jedoch noch solche, die den Gedopten die Stange halten würden, das darf nicht verschwiegen werden.
 
Besonders sportbegeistert waren ja die Franzosen. Sie wollten von den negativen Schlagzeilen der letzten Wochen nichts wissen. Aber es soll auch in Frankreich ein Umdenken geben.
 
Es ist einmal ganz interessant zu erfahren, was die Presse zu den Skandalen schrieb. Die Redakteure betitelten die Tour de France als „Tour de Farce“, „Spritz-Tour“, „Apotheken-Rundfahrt“, „Tuning für Todesmutige“. Andere Schlagzeilen waren: „Biss am Berg dank Hodenpflaster“, „Der Radsport ist dabei sich selbst zu erledigen“, „Die Tour ist in Lebensgefahr“.
 
Und was sagt ein Nichtgedopter, der mit dem Team Gerolsteiner zum vierten Mal mitfuhr? Fabian Wegmann (27) liess in der „Badischen Zeitung“ am 23. Juli 2007 Folgendes verlauten: „Jawohl, das System mit den verstärkten Dopingkontrollen greift. Gleichzeitig ist es natürlich ein Riesenschlag für unseren Sport, weil sich diejenigen bestätigt fühlen, die sagen, der Radsport sei total verseucht. Wir stecken ja auch tatsächlich in einem Misthaufen drin, aber wenn wir da jemals raus wollen, dann müssen wir die kriegen, die dopen.“
 
Michael Dörfler weist in einem Leitartikel der „Badischen Zeitung“ vom 27. Juli 2007 darauf hin, dass der Radsport „zutiefst vom Kommerz geprägt ist“. Es geht nicht um die Ehre, sondern um viel Geld. Wer also schnell fährt und auch so manche Etappe gewinnt, dem ist ein Geldsegen gewiss. Und da ist das Doping ein wirksames Hilfsmittel, um schneller ans Ziel und an die „Fleischtöpfe“ zu gelangen. Und man tut es, weil viele das auch tun. Die „Dummen“ (also die Nichtgedopten), so wurde kürzlich berichtet, fahren eben hinterher.
 
Ein Kritiker der Tour erklärte kürzlich, man solle in diesem Jahr keinen der Erstplatzierten aufs Treppchen bitten, sondern die letzten Drei auszeichnen. Aber das wird wohl ein frommer Wunsch bleiben.
 
Verbotene Helfer
Betrachten wir einmal, welche verbotenen Helfer und Doping-Praktiken bei der Tour de France und bei anderen Sportarten zur Anwendung kamen: Laut Angaben des Drogen- und Suchtberichts der Bundesregierung von D nehmen bis zu 200 000 Freizeitsportlerinnen und Freizeitsportler regelmässig Dopingmittel ein. Es ist unglaublich, auf welche Praktiken sich der Sportler zum Schaden seiner Gesundheit einlässt.
 
Das Sexualhormon Testosteron
Das männliche Sexualhormon zählt zu den anabolen Substanzen (Testosteron, Nandrolon). Es verstärkt den Muskelaufbau, führt zu einer Leistungssteigerung und zu einer Vermehrung der roten Blutkörperchen (Erythrozyten) und zu einer Erhöhung der Hämoglobinkonzentration. Die Standardabreichung erfolgt durch eine Spritze in den Po (alle 3 bis 4 Wochen). Es gibt jetzt schon Spritzen mit einer bis zu 3-monatigen Wirkdauer. Hautgels, Pflaster und kleine Implantate, die kontinuierlich das Testosteron abgeben, kommen ebenfalls zum Einsatz. So kleben Radsportler die Pflaster für einige Stunden auf den Hodensack und bekommen dann den richtigen Biss bzw. Kick für den Wettkampf, insbesondere bei Bergetappen. Da werden müde Männer munter. Aber nur beim Radsport!
 
Das synthetische Hormon, das hier zum Einsatz kommt, stimmt mit dem natürlichen nicht ganz überein. Darüber hinaus ist das Testosteron ein flüchtiges Dopingmittel. Es wird bald ausgeschieden. Es kann jedoch mittels Isotopenverhältnis-Massenspektrometrie (IRMS) im Blut und Urin nachgewiesen werden. Dem dopingfreudigen Sportler sind alle Mittel recht. Er bedenkt nicht die Nebenwirkungen. Mögliche Folgen einer künstlichen Zufuhr von Testosteron sind Leber- und Nierentumore, Herz- und Kreislaufschäden, Erhöhung des Cholesterinwertes, grössere Gefahr von Schlaganfällen und Thrombosen.
 
Wachstumshormon
Man muss das natürliche, das in der Hirnanhangsdrüse gebildet wird, vom gentechnischen Hormon unterscheiden. Als Dopingmittel kommt das gentechnische zur Anwendung. Und was erhoffen sich die Sportler davon? Das Wachstumshormon (HGH = Human Growth Hormone) soll einen muskelaufbauenden und leistungssteigernden Effekt bewirken, obwohl dieser beim Gesunden noch nicht nachgewiesen wurde. Missbrauch führt zur Vergrösserung der inneren Organe und Missbildungen an Händen, Füssen und Kieferknochen.
 
Kortikoide und Synacthen
Kortikoide sind Entzündungshemmer und werden oral, intramuskulär oder intravenös verabreicht. Sie entfalten eine euphorisierende und schmerzlindernde Wirkung. Das natürliche Adrenocortikotrope-Hormon (ACTH) und das synthetische Pendant Synacthen verwenden Sportler, um die körpereigene Produktion von Kortikoiden zu stimulieren. Es wirkt, wie schon erwähnt, euphorisierend. Dieses Mittel wird per Injektion oder Infusion verabreicht.
 
Insulin
Das Hormon der Bauspeicheldrüse gilt laut Spiegel als Geheimtipp unter Dopingsündern. Nach Verabreichung des Hormons kann der Körper bis zu 12 Mal mehr Glukosevorräte in Muskeln und der Leber speichern, wenn parallel zum Insulin Glukoselösung gespritzt wird. Dadurch wird beim Sportler bei Bedarf aus dem Glukosespeicher Glucose freigesetzt. Dadurch kann der Sportler mehr Leistung bringen.
 
Eigen- und Fremdblut sind sehr beliebt
Die roten Blutkörperchen (Erythrozyten) sind befähigt, Sauerstoff und Kohlendioxid im Blut zu transportieren. Nach Stimulation durch den hormonähnlichen Stoff Erythropoetin (Epo) werden diese Blutkörperchen aus der Knochenmarkstammzelle gebildet. Nach der Reifung werden sie mit Hämoglobin, dem roten Blutfarbstoff, bepackt, und ins Blut abgegeben. Je mehr rote Blutkörperchen ein Sportler in seinem Lebenssaft hat, umso grösser ist die Leistung, die er erzielen kann. Die Muskulatur kann nämlich längerfristig nur so viel Energie entwickeln, wie Sauerstoff vorhanden ist.
 
Bei der Eigenblutvariante wird dem Sportler Blut abgezapft, dieses in einem komplizierten Verfahren aufgearbeitet. Die roten Blutkörperchen werden abgetrennt, mit Gerinnungshemmern und Stabilisatoren versetzt und gekühlt gelagert. Kurz vor einem Wettkampf wird der Inhalt der Blutkonserve dem Sportler per Transfusion zugeführt.
 
Übrigens kann man durch Höhentraining auch die Anzahl der roten Blutkörperchen erhöhen. Sportler lassen sich nach einem solchen Training Blut abzapfen, das dann vor einem Wettkampf wieder per Transfusion zugeführt wird.
 
Bei der Fremdblutvariante wird einem anderen Sportler Blut entnommen (das Blut muss dieselbe Blutgruppe und denselben Rhesusfaktor aufweisen); die Erythrozyten werden isoliert. Vor einer schweren Etappe erhält der Sportler dann den Inhalt der Blutkonserve zugeführt. Wie Untersuchungen ergaben, kann durch Blutdoping eine Leistungssteigerung bis zu 10 % erreicht werden.
 
Bei der Fremdblutvariante können Nebenwirkungen, die nicht ohne sind, auftreten. Nennen möchte ich beispielsweise Allergien, Nierenschäden, Fieber, Gelbsucht-, Aids- oder Hepatitis-Infektion. Auch ein allergischer Schock kann den Sportler in die Knie zwingen. Auch das Eigenblutdoping ist riskant. Es können bei der Verabreichung Thrombosen entstehen und Gefässe sich verstopfen.
 
Alexander Winokurow wurde bei der diesjährigen „Tour der Leiden“, wie sie früher hiess, des Fremdblut-Dopings überführt.
 
Manipulationen mit Eigenblut sind schwer und nicht eindeutig nachzuweisen. Bei Fremdblutdoping ist das anders. Es gibt nämlich feine Unterschiede zwischen den fremden Erythrozyten und dem Rhesusfaktor, auch kann man mittels DNA-Analyse Betrüger entlarven. Seit 2004 lässt sich Fremdblut-Doping nachweisen. Es ist unverständlich, warum immer wieder Sportler diese Dopingart wählen. Die denken wohl, sie würden nie erwischt.
 
Hämoglobin
Der eisenhaltige rote Blutfarbstoff ist der Sauerstoffträger im Blut. Es ist normalerweise in den roten Blutkörperchen gebunden. Das künstlich zugeführte Hämoglobin befindet sich im Blutplasma. Es verbessert den Sauerstofftransport und damit die Leistungsfähigkeit des Sportlers.
 
Epo
Das Erythropoietin ist ein körpereigener Eiweissstoff. Es verstärkt im Körper die Bildung der roten Blutkörperchen. Gentechnisch gewonnenes Epo, das auch bei Nieren- und Krebsleiden verabreicht wird, ist besonders bei Radsportlern beliebt. Grund: Die Nebenwirkungen sind gering. Steigt jedoch der Hämatokritwert, das ist der Anteil der roten und weissen Blutkörperchen und Blutplättchen am Gesamtblut in Prozent, zu sehr an, kann dies zu Herz-Kreislaufversagen und zu Blutgerinnseln führen. Nach Angaben des italienischen Sportwissenschaftlers Prof. Alessandro Donati dopen sich weltweit 500 000 Sportler derzeit mit Epo.
 
Epo wird unter die Haut oder intravenös gespritzt. Es führt zu einer Steigerung der Leistung und Ausdauer. Es wird auch dem Eigenblut beigemischt. Da man jetzt Epo gut nachweisen kann, weichen vermehrt Sportler auf das Blutdoping aus.
 
Gendoping, ein Mittel der Zukunft?
Experten befürchten, dass bald skrupellose Trainer, Betreuer und Sportler das Gendoping anwenden werden. Mittels Genmanipulation werden Zellen im Körper des Sportlers so verändert, dass diese leistungssteigernde Stoffe selbst herstellen. Zum Glück entwickeln jetzt Tübinger Forscher ein erstes Testverfahren, um Gendoping nachzuweisen. Aber es wird noch einige Jahre dauern, bis der Test hieb und stichfest ist.
 
Auch hier ist zu befürchten, dass Hochleistungssportler, die für einen Sieg fast jedes Risiko eingehen, diese Methode anwenden. Experten gehen davon aus, dass diese Art des Dopings bei den Olympischen Spielen in Peking im nächsten Jahr Verbreitung finden wird. Aber Achtung, liebe Sportler! Die Blutproben werden eingefroren, so dass man nach Jahren Gendoping nachweisen kann. Und dann ist eine zu Unrecht erworbene Medaille futsch.
 
Wie geht es weiter?
Ich persönlich finde, dass die 104-jährige Tour de France in Gefahr ist, wenn sich nicht grundlegend etwas ändert. Wenn nichts passiert, dann wäre das der Todesstoss für diese Sportart. Es besteht jedoch wenig Hoffnung, dass Doping jemals ad acta gelegt wird. Doping wird es wohl immer geben. Dem Sportler muss jedoch bewusst werden, dass er durch die verfeinerten Untersuchungsmethoden erwischt und für Jahre gesperrt wird.
 
Dazu nochmals Michael Dörfler: „Wie man des Betrugs im Sattel Herr werden kann? Im Grunde nur, wenn es die Sportart nicht mehr gäbe – oder wenn man sie konsequent ihrer dunklen Elemente beraubte. Dazu bedarf es eines grundlegenden Neuanfangs und Sponsoren, denen der Antidopingkampf genauso wichtig ist wie Marketing.“
 
Jörg Schallenberg, Spiegel-Korrespondent, berichtete am 28. Juli 2007 über eine Pressekonferenz aus Cognac. Dort versprachen die Organisatoren eine Radsport-Revolution. Sie wollen Dopingtests verschärfen, mit dem Weltverband (UCI, dieser hat sich in der Vergangenheit bezüglich des Dopings nicht gerade professionell verhalten) auf Distanz gehen und ganze Teams aussperren.
 
Nachtrag: Der 24-jährige Spanier Alberto Contador wurde Gesamtsieger der 94. Frankreich-Rundfahrt. Er siegte mit nur 23 Sekunden Vorsprung vor dem Amerikaner Levi Leipheimer. Der Sieger ist umstritten, da er mit dem Dopingarzt Eufemiano Fuentes in Verbindung gebracht wurde.
 
Internet
http://www.uni-tuebingen.de/ (Infos über Gendoping)
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,496456,00.html (Mediziner entwickeln Test für Gendoping)
 
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