Textatelier
BLOG vom: 01.01.2008

Auftakt 08: Reminiszenzen u. Sentenzen im Bummelzug

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Jahrgang 1941.
Als 12-Jährigem schien mir das 20. Altersjahr eine Ewigkeit entfernt zu sein. Die Tage dauerten länger als heute. Am Silvesterabend stutzte ich: In einer Stunde werde ich pünktlich wie in der SBB im Jahr 2008 eintreffen. Irgendwann, in absehbarer Zukunft, werde ich die Endstation erreichen. Ich sehe ein Schildchen vor meinen Augen: „Bitte aussteigen.“ Soll ich sitzen bleiben, wenn der Zug am Ende des Geleises still steht?
 
Zum Glück besitze ich meine Rückfahrtkarte: Ich kann mich besinnen und erinnern nach Lust und Laune, genau wie gestern. Der 12. Stundenschlag der alten Wanduhr war verklungen. Der Zug zur Rückfahrt steht auf dem Perron gegenüber abfahrtbereit. Die Stationsuhr schnappt eine Minute vom Zifferblatt. „Bitte einsteigen … die Türen schliessen automatisch“, meldet sich eine Stimme übers Mikrofon. Ich muss mein Gepäck zurücklassen, um den Zug nicht zu verpassen. Das stört mich nicht, denn ich weiss, dass ich meine Reise ohne Gepäck begonnen habe – splitternackt.
 
Als Halbwüchsiger stellte ich mir vor dem Einschlafen vor, wie meine „Zukünftige“ aussehen würde. Ich hatte eine Wunschvorstellung: Schlank und dunkelhaarig müsste sie sein, schmiegsam und warmherzig. Also nicht struppig und störrisch wie ich, sondern viel, viel besser als ich. Sie soll mir zu raten wissen, wenn ich als Heissdampf den Kopf verliere.
 
Ein junger Mann erlebt allerlei Enttäuschungen auf seiner Suche nach dem weiblichen Ideal, wovon viele selbstverschuldet sind. Eine ehemalige Freundin sagte mir ins Gesicht: „Love is not a one-way street“, also: Liebe ist keine Einbahnstrasse. Die Türe schliesst automatisch, wie eben jetzt, wie ich im Zug unterwegs in der Zeit zurückfahre.
 
Das Leben verteilt Lektionen wie Ohrfeigen. Zuletzt kommt das grosse Einsehen, dass der eigene Wille leicht auf Gegenwillen stösst. Man steht dann machtlos vor der Partitur mit einer Geige ohne Saiten und Bogen, es sei denn, man lerne, sich ins Orchester, ins Team einzufügen. Das hat seine eigene Problematik: In welchem Orchester, im welchem Team soll man mithalten? Wer das grosse Glück hat, Vorbilder zu entdecken, denen er nacheifern kann, wird sich zu raten wissen. Immer wieder erscheinen neue Vorbilder in meiner Galerie. Das ist für mich das allergrösste Glück – der Weg zur Vielfalt. Sonst wäre ich ein Einfaltspinsel geworden.
 
Wie ich rückwärts fahre, beginnt die Nacht. Streckenweise ist es so dunkel, dass ich mich an nichts erinnern kann. Ich suche nach Haltepunkten im Gedächtnis. Jahre scheinen wie ausgelöscht. Lichttupfen flitzen an mir vorbei, wie ich in die Nacht starre. Es sind Siedlungen, die mir bekannt vorkommen.
 
Erinnerungen sind wie ein Bummelzug: Man kann gedanklich aussteigen und diese wieder aufsuchen. Dabei stelle ich immer wieder fest, dass ich so vieles damals nicht bemerkt habe in meiner Hast, vorwärts zu kommen. Gedanken- und anteilslos habe ich vieles verpasst, das des Aufhebens wert gewesen wäre.
 
Das bringt mich stracks zum Auftakt 2008: Ich werde versuchen, diese verkannten Schätze zu heben und ins Tageslicht des Bewusstseins zu heben. Darauf freue ich mich: Wie ich sie in Blogs verwandle. Und was die Erinnerung nicht hergibt, wird die Fantasie gewiss wettmachen. So geht es munter weiter voran in die Zukunft!
 
Hinweise auf ein früheres Neujahrsblog von Emil Baschnonga
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