BLOG vom: 12.12.2008
Schweizer Bundesrat: Wie das Kollegialprinzip Lügner züchtet
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
Leute, die etwas anderes sagen als sie denken, mag ich nicht. Mit ihnen sind Diskussionen sinnlos, verplämperte Zeit. Und gerade von einem Politiker erwarte ich Offenheit, Ehrlichkeit. Nur diese Sorte wähle ich.
Nun aber gibt es innerhalb der Schweizer Konkordanzdemokratie (Einbindung aller wichtigen Kräfte in die Regierungsbehörden) so genannte Kollegialbehörden auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene (Bundesräte, Regierungsräte, Gemeinderäte). Es handelt sich um Vollzugsorgane, die sich intern zusammenraufen, wenn sie ihren Freiraum nutzen, ihre Anträge ausarbeiten. Wenn sie sich bei Beachtung des Mehrheitsprinzips auf eine Haltung geeinigt haben, treten sie nach aussen mit einer Stimme auf. Das bedeutet in der Praxis, dass sich die einzelnen Behördemitglieder, die im Rat unterlegen sind, nach aussen für oder gegen etwas bekennen müssen, selbst wenn sie gegenteiliger Meinung sind. Ein gewisses Schauspielertalent ist also gefragt. Sie müssen lügen, um das Kollegialitätsprinzip hochzuhalten. Und das ist ein ausgewachsener Blödsinn, zumal man bei den überschaubaren Schweizer Verhältnissen ohnehin weiss, was Einer oder Eine denkt. Wir sind ja nicht blöd.
Selbstredend darf und muss erwartet werden, dass ein im Rate mit seiner Haltung teilweise oder ganz unterlegenes Mitglied nicht versucht, von aussen her den Entscheid zu bekämpfen. Auch in diesem Fall gilt selbstverständlich, dass Mehrheitsbeschlüsse zu respektieren und zu vollziehen sind. Aber das wäre ja auch anders zu lösen, genau so nämlich, wie es in der Demokratie (auf Volksebene) üblich ist: Wenn in einer Volksabstimmung beispielsweise die Schulharmonisierung HarmoS mehrheitlich angenommen würde, ich aber zur unterlegenen Minderheit gehöre, dann muss ich doch nicht sagen, ich sei für die Harmonisierung, sondern etwa: „Ich war dagegen, weil sie die Schule der Kommerzialisierung entgegentreibt. Aber nun ist es halt so. Man wird das Beste daraus machen müssen.“ Damit ist mein demokratisches Talent hinreichend bewiesen. Und das Lügen hat sich erübrigt.
Ein anderes Beispiel: Wenn die Mehrheitsbundesratsmeinung pro EU-Freizügigkeitsabkommen ist und der SVP-Vertreter unterlag, so wäre es doch sinnvoll, wenn er sagen würde: „Der Bundesrat tritt mehrheitlich für die Freizügigkeit ein, und ich muss und werde mich fügen, obschon ich dagegen gestimmt habe.“ Jede Vernunft spricht für diese Lösung, aber die Vernunft hat in der Politik nicht viel zu suchen, dafür aber eine durch nichts zu motivierende Amtsgeheimniskrämerei bei Sachfragen, die das Volk betreffen und auch interessieren. Dadurch verstärkt die Politik ihren Ruf der Verlogenheit; und auch das Ansehen der Politiker nimmt Schaden.
Mir sind solche Vorgänge rund um die Wahl des SVP-Vertreters Ueli Maurer (58), ein aus einfachen Verhältnissen stammender, fleissiger Bauernsohn mit respektabler sprachlicher Ausdruckskraft, in den Bundesrat am 10.12.2008 schmerzlich bewusst geworden. Das nahe liegende Exempel drängt sich in diesem Zusammenhang gleich auf: Die Schweizerische Volkspartei ist gegen die Weiterführung der Personenfreizügigkeit mit der EU wegen deren inhärenten Erweiterung auf Bulgarien und Rumänien. Das Volk wird im Februar 2009 also nur über das Gesamtpaket abstimmen können, was als undemokratisch empfunden wird; wir sind uns an differenzierende Mitsprachemöglichkeiten gewohnt. Bundesrat Maurer wird also gezwungen sein, im Abstimmungskampf für diese Vorlage einzutreten, die gar nicht auf seiner persönlichen Linie liegt. Er darf dann nicht einmal sagen, er vertrete diese Vorlage im bundesrätlichen Auftrag, die vor seiner Zeit in der Landesbehörde ausgearbeitet worden sei, obschon das im Lande jedermann bekannt ist. Er muss so tun, als ob ihm alles an deren Annahme gelegen sei.
Ueli Maurer hat sich in seiner bisherigen politischen Karriere als Nationalrat und SVP-Parteipräsident gerade dadurch ausgezeichnet, dass er offen, ehrlich und pointiert seine Meinung (auch über Personen und Parteien) geäussert hat, ohne grosse Blätter vor den Mund zu nehmen. Er schaffte sich dadurch Feinde, die auf Rache sannen; er trug es mit Fassung, ist ein Kämpfer. Selbstredend gibt es neben ihm auch andere Politiker, die ihre Meinung frei zu äussern wagen und nicht eben zimperlich mit politischen Gegnern umgehen. Aber ausschliesslich SVP-Mitglieder werden dafür abgestraft, weil es sich um die erfolgreichste der Parteien handelt, was immer Neider auf den Plan ruft. Die anderen zählen weniger.
Im Rahmen der Wahlvorbereitungen stand bei den übrigen Parteien und den eingebundenen Medien als Wesentlichstes die Frage im Raum, ob denn ein Bundesrat Maurer es schaffen könne, sich bedingungslos dem Kollegialprinzip unterzuordnen – mit anderen (so nicht ausgesprochenen) Worten: Ob er den Wandel vom ehrlichen zu einem lügenden, verdrehenden Politiker überhaupt schaffen könne. Ueli Maurer hatte keine andere Wahl, als diesbezüglich Zuversicht zu verbreiten … Er werde es schaffen.
Vor dieser weltbewegenden Hauptfrage trat vollkommen in den Hintergrund, wie er es denn bewerkstelligen wolle, die in der Ära Adolf Ogi/Samuel Schmid heruntergewirtschaftete Schweizer Armee wieder zur Einsatzbereitschaft und auf Vordermann zu bringen und die hinten herum vollzogene Nato-Einbindung zu beenden. Das schien vor lauter Kollegialitätsprinzipien gerade übersehen zu werden, ein markanter Hinweis darauf, wie merkwürdig die Politik ihre Prioritäten setzt. Das Nebensächliche wird zur Kardinalfrage.
Das Schweizer Fernsehen DRS rotierte den ganzen Wahltag (10.12.2008) um diese marginale Frage, brachte immer wieder die gleichen abgedroschenen Zusammenschnitte, wobei je nach Sendung jeweils einfach der Moderator wechselte. Aber auch den übrigen Medien schienen gerade keine fundamentalen Fragen einzufallen. Das äusserst knappe Wahlresultat wurde als „Warnschuss“ oder „Ohrfeige“ interpretiert; dabei ist es bloss das Resultat davon, dass SP und CVP keinen EU-Kritiker im Bundesrat haben wollten; ihnen wäre der anpasserische Bauernverbandspräsident und Softliner Hansjörg Walter lieber gewesen. Und zudem wurde gesagt und geschrieben, Maurer habe nun eine „Eignungsprüfung“ zu bestehen … schwenkt er ein, ist alles gut; sonst fällt er durch – in 3 Jahren sind Bundsratsgesamtwahlen. Er dürfe sich auch keine „Entgleisungen à la Christoph Blocher“ mehr leisten, habe ich gelesen. Andere Entgleisungen wie Bundesrat Pascal Couchepins Mörgeli/Mengele-Wortspiel aber bleiben weiterhin erlaubt. Zudem erwartet man auch, dass Maurer die SVP-Opposition zum Ersticken bringt, obschon es zur landespolitischen Tagesordnung gehört, dass Bundesratsparteien vom Kurs der Landesregierung abweichen, wenn ihr Vertreter dort unterlag. Man hat die Erwartungen an Maurer so hochgeschraubt, dass kein Mensch sie erfüllen kann. So etwas hatte ich früher noch nie beobachtet.
Die Rolle der Medien gibt schon zu denken: jahraus-jahrein bemühen sie sich mit mehr oder weniger Erfolg um Enthüllungsjournalismus. Sie schreiben mit Inbrunst Homestorys (die es übrigens von Maurer nie gab), sind ständig auf Primeurjagd. Gnade Gott der Sonntagszeitung, die nicht mit einem Knaller aufwarten kann und nicht zum Zitieren Anlass gibt! Und dann sind sie plötzlich wieder für kollegialprinzipielle Verschwiegenheit, verlangen expressis verbis, dass persönliche Ansichten unterdrückt werden, messen gar die Qualität eines Politikers daran.
Immerhin durfte Maurer noch sagen, er wolle „aus der Schweizer Armee die beste Armee der Welt machen“, obschon die gesamte Politik bisher auf deren Herunterwirtschaftung ausgerichtet war.
Beim Schweizervolk, das über weite Strecken anders als die Politik und anders als die Medien funktioniert, wird Ueli Maurer den besten Eindruck dann machen, wenn er seiner Gradlinigkeit und Offenheit die Treue hält und sich nicht zum Zwangslügner und Berufsverdreher umfunktionieren lässt. Diesbezüglich bin ich zuversichtlich.
Bei mir als gewöhnlichem Mann aus dem Volk steht nicht allein er, sondern vor allem auch sein politisches Umfeld unter kritischer Beobachtung.
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