Textatelier
BLOG vom: 27.11.2009

Heute gab mir der Herbst 2009 seine Abschiedsvorstellung

Autorin: Rita Lorenzetti, Zürich-Altstetten
 
Carpe diem. Diese lateinische Redewendung, deutsch: „Nütze den Tag“, bewegte sich am Morgen des 23.11.2009 auf meinem Bildschirmschoner, als der Computer eine Weile ruhte. Die Botschaft kam an, bewegte mich. Ich war angesprochen und überlegte mir, wie ich sie an jenem Tag umsetzen könnte.
 
Wie nütze ich diesen neuen Tag? Bis anhin verstand ich diesen Rat immer dahingehend, dass die anstehende Aufgabe ohne Trödeln angegangen werden soll. Gründlich, zuverlässig. Die Lebenszeit nicht verschwenden. Zum ersten Mal kam ich vor einigen Jahrzehnten im Tessin mit diesem Text in Berührung. Ein befreundeter Architekt hatte uns zu sich eingeladen. Er baute ein Rustico zu einem behaglichen Wohnhaus um und wollte seine Freude an diesem Ort und seiner Arbeit mit uns teilen. Er holte uns an der Postautostation ab und führte uns zu seinem Haus. Bevor wir eintreten durften, blieb er stehen und machte auf die Tafel neben der Haustür aufmerksam. „Carpe diem“ lasen wir. Das war sein Programm zur Auferstehung dieses alten Steinhauses, einer Art Ruine. Und er folgte ihm und hatte auch Erfolg. Ich sah, wie fleissig und gründlich er arbeitete. Jede Woche vertauschte er die Schreibtisch- mit der körperlichen Arbeit. Er bestätigte damals, dass ich das Wort recht erfasst hatte.
 
Aber heute Morgen war es anders. Beim Frühstück war es noch Nacht. Während wir die Zeitung lasen, wich das Dunkel langsam. Ich öffnete das Fenster, schnupperte die Luft und sah einen freundlichen Himmel, hellblau, aber mit weichen Wolkenfetzen überzogen. Von den Bäumen strahlten mich noch bräunliche Blätter an. Viele waren schon abgefallen. Ein kühler Wind rüttelte an den Ästen und schüttelte verbliebene Blätter und noch viele Samenflügel ab. Diesen natürlichen Propellern zuzuschauen, macht mir immer wieder Spass. Noch ist es mir aber nicht gelungen, sie zu fotografieren. Sie sind schneller als ich und mein Apparat.
 
Plötzlich wusste ich, wie ich die nächste Stunde dieses Tages sinnvoll nützen könnte: Nochmals nach dem Herbst ausschauen, bevor er sich endgültig verabschiedet. Also: Windjacke anziehen und auslaufen. Meine Zellen mit Licht füllen. Den Herbst nochmals einfangen und die Bilder als einen immateriellen Wert als Winterproviant in mir einlagern.
 
Im Schulhaus Loogarten war gerade Pause. Die Kinder tummelten sich draussen. Sie lachten und schrien. Sie verströmten Energie. So auch der Wind, der nebenan die Hängebirke mit ihren langen Haaren übermütig schüttelte. Es beflügelten mich beide. Kinder und Wind erfassten mich mit ihrem Temperament.
 
Auf dem Römerhügel hatte der Wind sein Werk schon getan. Die beiden Linden sind jetzt entlaubt, zeigen ihre wohlgeformte Statur. Jetzt ist gut auszumachen, dass sie nicht derselben Familie angehören. Ein schönes Paar. Vielleicht Mann und Frau.
 
Auf dem weiteren Weg knipste ich Bilder von der Berberitze. Hier dominierte Rot und Grün auf himmelblauem Hintergrund. Farben sprühten auch die japanischen Zierkirschenbäumchen vor der blauen Schulhauswand.
 
Auf Schlierenberg war der Wind so stark, dass er mich hindern wollte, voranzukommen. Es gefällt mir, wenn ich mich gegen ihn stemmen muss. Vielleicht gefällt es ihm auch, uns anzufahren und Staub aufzuwirbeln. Hier scheuchte er die Blätter auf. Einige schwebten eine Weile und fielen dann hin. Andere wurden zu Rädern, obwohl sie nicht rund gewachsen sind. Sie folgen den ihnen innewohnenden Gesetzen, und diese haben mit mir persönlich nichts zu tun. Und doch lasse ich mich ganz gerne auf ihre scheinbaren Spiele ein.
 
Hier oben schien die Sonne und warf ihr Licht auf ein grünes Feld, auf eine Wintersaat. Obwohl diese weder verregnet war, noch Tau trug, fingen die Sprösslinge das Licht als goldene Flecken auf. Am Waldrand grüssten die Lärchen mit fahlem Gelb, sehr geheimnisvoll.
 
Auf dem Heimweg schien mir die Sonne ins Gesicht. Es war schwierig, die Alpen zu fotografieren. Weisse Wolken deckten Teile des Alpenkranzes ab. Dieses Gegenlicht verzauberte noch einige Büsche und Bäume, an denen nur noch wenige Blätter hingen.
 
Mit jedem Jahr betrachte ich die Farben der Natur mit offeneren Augen. Jede Blume ist noch schöner als ich sie schon gekannt habe. Das muss eine Alterserscheinung sein. Und mit denselben Augen will ich auch durch den Winter gehen.
 
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