Textatelier
BLOG vom: 15.03.2010

„Gesundheitsbeere“: Goji-Beeren durch Pestizide belastet

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Immer mehr „Gesundheitsbeeren“ erobern den Weltmarkt. Nach Jiaogulan, Cranberries, Granatapfel und Aronia (Apfelbeere) schwören jetzt viele Menschen auf Goji-Beeren, Schisandra-Beeren und Acai-Beeren. Über diese „Wunderbeeren“ kamen inzwischen auch einige Bücher auf den Markt.
 
Auch die chinesische Pflanze Jiaogulan, die als das „Kraut der Unsterblichkeit“ bezeichnet wird, ist zurzeit sehr beliebt. Die Pflanze lernte ich erstmals im Kräutergarten von Marlene Müller in Ibach D kennen. Dort durfte ich ein Blatt verzehren.
 
Die reife orange-rote Goji-Beere des Bockshorn-Strauches (Lycium barbarum), wird in China als die „glückliche Frucht“ bezeichnet, da sie Wohlbefinden und die Lebenskraft fördert. Traditionell wird die Beere in China gegen hohen Blutdruck und Blutzucker, bei Augenproblemen und zur Stärkung des Immunsystems verwendet. Auch in der Vorbeugung und Behandlung von Krebs soll sie wirken. In Amerika gilt der Saft als Anti-Aging-Rezept. Die Beeren sollen den höchsten Gehalt an Antioxidantien haben.
 
Die getrockneten Goji-Beeren wurden von begeisterten Verbrauchern entweder pur verzehrt oder dem Müesli beigemischt oder sie tranken Säfte, Tees und Sekt mit dieser Beere. Im Handel sind auch Kapseln, Riegel, Schokolade, Wein, Kaffee, Tee, Likör, Essig und Öl.
 
Alle Proben waren belastet
Das konnte ich zunächst nicht glauben: Ernährungsbewusste Verbraucher und nicht Organisationen, Ministerien oder Importeure machten sich Gedanken, ob diese aus dem asiatischen Raum stammenden Beeren eventuell Pestizidrückstände haben. Sie beauftragten die Chemischen und Veterinäruntersuchungsämter (CVUA) in Stuttgart, Proben zu untersuchen (www.untersuchungsaemter-bw.de).
 
Im Zeitraum vom Februar bis April 2009 wurden zunächst 7 Proben auf Rückstände von über 500 Pflanzenschutzmitteln untersucht. Das Ergebnis war verheerend: Alle Proben wiesen hohe Werte des Insektizids Acetamiprid auf. Auch die Proben mit den Angaben „bio“ und „wilde Goji-Beeren unbehandelt“ wiesen eine Schadstoffbelastung auf. Im Durchschnitt wurden bei allen untersuchten Proben 10 verschiedene Rückstände gefunden.
 
Das zeigt eindeutig, dass es sich hier um keine Bio-Ware und keine solche aus Wildsammlung handelte. Es lag also eine bewusste Verbrauchertäuschung vor.
 
In der 2. Jahreshälfte (2009) wurden weitere 7 Proben untersucht. Auch hier mussten alle Proben beanstandet werden.
 
Anfang 2010 wurde eine landesweite Probenahmeaktion für getrocknete Goji-Beeren von der CVUA gestartet. Die Beeren wurden untersucht, um zu erfahren, ob der Handel zur Verbesserung der Eigenkontrollen nachgekommen ist oder nicht.
 
Ergebnisse: 13 von 15 Proben aus konventionellen Anbau wiesen erhebliche Belastungen auf. Die Werte von Acetamiprid lagen deutlich über den gesetzlich zulässigen Höchstmengen (getrocknete Beeren aus China: 0.047‒0,7 mg Acetamiprid/kg; Beeren unbekannter Herkunft: 0,15‒0,17 mg/kg). Durchschnittlich wurden 12,9 verschiedene Pestizide aufgefunden.
 
Bei getrockneten Goji-Beeren aus ökologischem Anbau war die Rückstandssituation deutlich besser. Eine Probe aus Usbekistan hatte nur 0,002 mg Acetamiprid je 1 kg. Dieser Wert lag deutlich unter der von der EU festgeschriebenen Höchstmenge von 0,01 mg/kg für frische Goji-Beeren. Unter Berücksichtigung des Verarbeitungsfaktors gilt für die getrockneten Beeren somit ein theoretischer Höchstgehalt für Acetamiprid von 0,05 mg/kg.
 
Der baden-württembergische Minister für Ländlichen Raum, Ernährung und Verbraucherschutz, Rudolf Köberle MdL, kommentierte die Ergebnisse so: „Die Ergebnisse zeigen, dass die Goji-Beeren im konventionellen Anbau in China intensiv mit chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln behandelt werden. In einer einzelnen Beeren-Probe wurden bis zu 19 verschiedene Pestizide nachgewiesen.“
 
Das Land Baden-Württemberg kündigte jetzt weitreichende Massnahmen an, wie unter www.proplanta.de nachzulesen ist. Hier die Vorschläge: Das Ministerium wird in Brüssel und Berlin vorstellig werden und verschärfte Einfuhrkontrollen fordern. Auch sollen Eigenkontrolluntersuchungen auf Pestizidrückstände von den Lebensmittelunternehmen zur Pflicht werden.
 
Rudolf Köberle betonte noch dies: „Keine der untersuchten Proben der Goji-Beere musste auf Grund der festgestellten Rückstände als gesundheitlich bedenklich eingestuft werden.“ Das bezweifle ich, zumal kein Verantwortlicher den Kumulations- und Potenzierungseffekt von mehren Pestiziden und anderen Giftstoffen berücksichtigt. Deshalb sollte man sich nicht auf die festgeschriebene Höchstmenge verlassen.
 
Der Schutz der Verbraucher müsste eigentlich höchste Priorität haben. Deshalb sind solche Pestizide fehl am Platze. Wer auf Goji-Beeren nicht verzichten möchte, sollte gezielt nach rückstandsfreier Ware fragen und sich entsprechende Zertifikate über Eigenkontrollen zeigen lassen. Auf jeden Fall sollte man einen undifferenzierten und gedankenlosen Kauf, zum Beispiel aus dem Internet, unterlassen.
 
Selbst anbauen
Übrigens kann man Goji-Beeren im Garten selbst anbauen. Frostresistente Bocksdorn-Sträucher (winterhart bis –25 °C) gibt es im Fachhandel zu kaufen. Für eine 2-jährige Pflanze im Topf, die bereits im 3. Jahr ertragreich ist, muss man um die 20 Euro berappen. Kleine Pflanzen sind über den Fachhandel zwischen 4,95 Euro („Superfruit“) und 6,95 Euro („Big Lifeberry“ mit grösseren Früchten!) zu bekommen.
 
Im Frühjahr 2008 wurde übrigens 50 km nördlich von Hannover die 1. Goji-Plantage Deutschlands eröffnet (www.goji-plantage.de). Die 1. Aronia-Plantage in Niedersachsen wurde in Schwarmstedt bei Hannover im Frühjahr 2009 angelegt. Wie mir ein Firmensprecher in einer E-Mail am 11.03.2010 mitteilte, ist das Unternehmen gerade dabei die Umstellung auf Bio vorzubereiten. Das finde ich lobenswert. Wir sind dann nicht mehr auf pestizidverseuchte Importe angewiesen.
 
Ein Reformhausmitarbeiter kommt zu Wort
Als ich in meiner Internet-Serie in der „Reform-Rundschau“ (2010-03) über die Goji-Beeren kurz berichtete und schrieb, dass es diese Beeren auch in den Reformhäusern zu kaufen gibt, meldete sich Christian Ehrler aus Plauen D zu Wort. Er ist Reformhausmitarbeiter und legte Wert auf die Feststellung, dass getrocknete Goji-Beeren nicht in Reformhaus-Qualität erhältlich sind. Wegen der Schadstoffbelastung werden diese Beeren durch die neuform international (NI) nicht angeboten. Er schrieb mir in 2 E-Mails vom 06.03.2010 und 08.03.2010 dies: „Ich gehe davon aus, dass NI auch getrocknete Goji-Beeren ins Sortiment aufnehmen wird, wenn auf dem Markt Ware erhältlich ist, die den Richtlinien der neuform entspricht und damit auch aus meiner Sicht fürs Reformhaus geeignet ist (…) Die Strategie von NI finde ich super, zeigt sie doch, dass die Reformhäuser nicht auf jedes ,Pferd springen’, nur weil es einen schnellen Umsatz zulasten der Qualität verspricht.“
 
Die neuform hat übrigens strenge Qualitätsrichtlinien. Diese können unter www.neuform-international.de/qualitaet_3.html eingesehen werden.
 
Anhang: Noch einige Fakten zur heterocyclischen aromatischen chemischen Verbindung Acetamiprid. Dieser insektizide Wirkstoff macht Schildläuse, Mottenschildläuse, Weisse Fliegen, Trauermücken und Schmierläusen den Garaus. In Deutschland, Österreich und der Schweiz wird die Verbindung meist zur Behandlung von Topf- und Zierpflanzen verwendet. Acetamiprid ist auch im Gemüseanbau (Gurke, Tomate, Salaten) und zur Bekämpfung von Blattläusen an Kernobst zugelassen. Aber auch zur Eliminierung von Rapsglanzkäfer oder die Larven des Kartoffelkäfers wird der Stoff gebraucht.
 
Ich frage mich, warum in chinesischen Goji-Beeren so viele Pestizide nachgewiesen wurden. Vielleicht kommen dort Pestizid-Cocktails zur Anwendung nach der Devise „viel hilft viel“.
 
Ein unglaublicher Vorgang zum Schaden der Verbraucher.
 
Internet
www.mensvita.de (Pestizide in Gojibeeren)
www.untersuchungsaemter-bw.de (Nachgefasst: Pestizide in Gojibeeren)
www.effilee.de (Goji-Beere)
www.proplanta.de (Erhöhte Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in Goji-Beeren hinterlassen den sprichwörtlichen schalen Geschmack)
www.Baldur-Garten.de (über 1000 Neuheiten und Raritäten)
 
Literatur
Rehm, Sigrun: „Für einen fröhlichen Geist“ (Warum immer neue rote Wunderbeeren den Wellnessmarkt erobern), „Der Sonntag“, 07.03.2010.
Scholz, Heinz: „Exotische Früchte (2): Cranberrys, Goji, Karambolen“, Reform-Rundschau, 3/2010.
Sharamon, Shalila; Baginski Bodo J.: „Goji – die ultimative Superfrucht“, Verlag Windpferd, 2009.
Sharamon, Shalila; Baginski Bodo J.: “Die Schisandra-Beere Wu Wei Zi. Die Frucht der 5 Elemente“, Verlag Windpferd, 2009.
Blumert, Michael; Liu Jialiu; Schulten, Frank-Daniel: „Jiaogulan – Chinas Pflanze der Unsterblichkeit“, Verlag Books on Demand, 2007.
 
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