Textatelier
BLOG vom: 23.04.2010

Die PC-Spielsucht: Am wirklichen Leben vorbei leben

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Die Reportage über die Spielsucht Jugendlicher, die sich hinter dem PC verschanzen, in der Sunday Times vom 18.04.2010 unter dem Titel „Game Boy“ veröffentlicht, stimmt nachdenklich. Diese Teenager werden als „Screenager“ bezeichnet.
 
Der 18-jährige Andrew hockt im verdunkelten Raum hinter 2 PC-Bildschirmen. Tag und Nacht spielt er versessen Videospiele wie „Grand Theft Auto IV“. Der einst aufgeweckte und intelligente Schüler verlässt sein Zimmer kaum mehr. Das Studium musste er aufgeben. Die Wirklichkeit ist verblasst. Er lebt virtuell. Seine Mutter ist macht- und hilflos. Sie bringt ihm das Essen ins Zimmer und räumt nachher die Teller weg. Andrew ist unansprechbar geworden. Seine Kontakte mit der Umwelt sind unterbrochen. Er vernachlässigt die Hygiene und Toilette. Den Harn füllt er in Flaschen ab, damit er seinen Sessel nicht verlassen muss …
 
Ist Andrew ein Extremfall? Leider häufen sich solche Fälle akuter Spielsucht. Rund 77 % aller britischen Haushalte haben einen Internetanschluss. Kinder, schon solche ab 10 Jahren, sind auf Computerspiele versessen, worunter „Call of Duty 4“, „Tekken Dark Resurrection“, Star Wars Battlefront“, „Ever Quest“, “World of Warcraft“ usf. Viele dieser Videospiele werden der Kategorie von MMORPG („massively multiplayer online role-playing games“) zugewiesen. Abertausende von Spielern können sich gleichzeitig in solchen virtuellen Rollen-Wettkämpfen messen. In Grossbritannien soll sich die Zahl der jugendlichen Spieler auf 16.7 Millionen erhöht haben. Die Gewinner sind die Herausgeber solcher Spiele: Das „World of Warcraft“-Programm kostet monatlich zwischen £ 7.69 und £ 8.99. Neuauflagen dieser Spiele sichern frische Zusatzgewinne.
 
Entwöhnungskliniken für Alkoholiker und Drogensüchtige haben neuerdings Therapien für Video-Spielsüchtige eintwickelt. Noch immer wird die Videospielsucht bagatellisiert. Dies geschieht mit dem Hinweis, dass einst auch das Fernsehen als Suchtmittel angeprangert worden sei. (Und übrigens bis auf den heutigen Tag oft einer Sucht gleichkommt.)
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Es gibt Leute, die meinen, dass die Videosucht ihre guten Seiten habe. Die Spieler bleiben zuhause und schliessen sich nicht Banden von Messerstechern und Dieben an. Sie interessieren sich nicht für Pornographisches. Ihr Alkoholkonsum, in der Regel auf Bier beschränkt, ist gering. Auch vergewaltigen sie nicht. Sie bleiben in ihrer Weltflucht der Öffentlichkeit entzogen. Somit fallen sie nur ihrer Familie zur Last … und schädigen ihre eigene geistige und körperliche Gesundheit.
 
Das empfinde ich als fadenscheinige Ausflüchte. Videospiele allein schützen und stärken ihren sonst – ausserhalb ihrer Dunkelkammer – stark angeschlagenen Selbstwert. Was geht in ihrem Hirn vor, wie sie vornehmlich rabiate Kriegsspiele konsumieren? Wie verhalten sie sich, wenn sie gegen ihren Willen vom Spiel abgehalten oder dabei gestört werden? Tobsuchtsanfälle vielleicht? Was sind längerfristig die Folgen dieser technologisch inszenierten Verblödung – Verödung – junger Leute?
 
Ich mag mir dies alles nicht ausdenken, derweil sich die Videospielseuche ausbreitet und sich der allgemeine Wertezerfall innerhalb der Gesellschaft beschleunigt.
 
Hinweis auf ein weiteres Blog über die Spielsucht in England
09.04.2006: Spielsucht und Auswüchse: Reinfallbeispiel England
Hinweis auf weitere Blogs von Scholz Heinz
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