Textatelier
BLOG vom: 30.05.2010

Der Stabhochspringer (3): Bis zum zweitletzten Sprung

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
3. Episode
Husseins Fiasko mit dem geplanten Diebstahl beim „Lord der Heilsarmee“, Lindsey Connolly, entfernte er – wie so vieles in seinem Leben – aus dem Gedächtnis. Hussein und Piet verwirklichten ihre neue Strategie und wählten Turin und Neapel für ihre Diebstähle als Fingerübungen für den Meisterwurf.
 
In der Afghanistan gewidmeten Sonderausstellung beim Piazza San Giovanni in Turin ergatterte Hussein allerlei Goldgeschmeide. Der Sprung fiel ihm leicht. Kurz vor Torschluss hatte Piet die Alarmanlage ausgeschaltet und Hussein die Kopie des Schlüssels zur Verbindungstür ins Untergeschoss überreicht. Innerhalb einer Viertelstunde sprang er mit seiner Beute durchs zuvor geöffnete Fenster auf der Rückseite des Gebäudes.
 
Piet und Hussein fuhren sofort nach Mailand weiter. „Warum bist du so schweigsam?“ fragte Piet. „Die Hitze des Tages hat mir zugesetzt“, antwortete Hussein ausweichend. Der wahre Grund aber war die in einer Bodenplatte eingelassene arabische Inschrift „Als Kind sei gefällig; als Jüngling zeige Selbstkontrolle; als Erwachsener sei gerecht; als alter Mann gebe weisen Rat; sterbe ohne Kummer“. Diese Inschrift hatte ihm zugesetzt und blieb in seinem Gedächtnis haften.
 
Am folgenden Tag fuhren sie mit dem Zug nach Neapel. Ihr Ziel war diesmal das „Museo Archaeologico Nazionale di Napoli“, ein klotziges Gebäude im Stadtzentrum, das einst als Armeebaracke diente. Die Schwachstellen für den Einbruch waren hurtig geortet. Hussein hatte vorgängig wiederum Goldgeschmeide, diesmal aus Pompeji, besichtigt und ausgewählt. Die Anlaufstrecke für den Hochstabsprung fehlte. So musste der Stab diesmal als Kletterstange zum Fenster an der Seitenwand herhalten, hinter welcher der Ausstellungsraum untergebracht war. „Die Alarmanlage ist veraltet“, hatte Piet festgestellt, „das Fenster unvergittert, und das Schloss stammt aus dem letzten Jahrhundert. Damit lässt sich das Fenster öffnen“; mit diesen Worten übergab er Hussein den passenden Schlüssel.
 
Ehe das Museum um 8 Uhr abends die Pforte schloss, war alles für den Diebstahl bestens vorbereitet. Die Angestellten verliessen das Gebäude durch einen Seitenausgang. Das Verkehrsgewühl verdichtete sich mit einer sich verstärkenden Huperei. Dazwischen heulten die Sirenen der Ambulanzen. Innert einer Stunde hatte Hussein die Beute gesichert und rutsche am Stab wendig in die Tiefe. An der Ecke erwartete ihn Piet im Taxi. Sie erwischten den Zug Richtung Genf 10 Minuten vor der Abfahrt, liessen sich das Essen im Speisewagen schmecken und suchten nachher den Schlafwagen auf. Somit waren die Fingerübungen für ihren Meisterwurf erledigt.
 
Dieser Meisterwurf bedurfte der umsichtigsten Vorbereitung und kann deshalb in der Erzählung erst später, in der 4. Episode, aufgegriffen werden.
 
Warum aber nicht bereits hier Husseins Werdegang zum Dieb aufgreifen? Er war in Alexandrien (Ägypten) als Sohn recht vermögender Eltern geboren, genoss eine gute Erziehung und studierte in Kairo Geschichte. Was warf ihn aus der Laufbahn, trotz seiner gesicherten und aussichtsreichen Karriere?
 
Vorweg geht aus dem Notizheft seines Biographen und Journalisten hervor, dass Hussein einem Studentenzirkel angehörte, der, von der kommunistischen Doktrin beeinflusst, schärfste Gesellschaftskritik übte. „Unser Land ist von der Korruption verseucht“, hatte er Husseins Ausspruch in seinem Heft festgehalten. Aber in den 1980er-Jahren waren die letzten Ausläufer der Studentenrevolte in Ägypten verebbt. Zurück blieb ein Gefühl der Machtlosigkeit, verbunden mit einem Hass gegenüber jede Obrigkeit. Sein Vater, ein Staatsbeamter, bezichtigte Hussein als „Nestbeschmutzer“. „Merkwürdig“, vermerkte sein Biograph im Heft, „wie oft Gegner der Korruption zuletzt selber der Korruption erliegen.“
 
„Du bist ebenfalls korrupt“, bezichtige Hussein seinen Vater. Dieser forderte seinen Sohn auf, das Haus zu verlassen. Hussein verdankte seiner Mutter, die ihrerseits vermögend war, die benötigte finanzielle Unterstützung, damit er seine Studien zuerst in Paris und dann in London fortsetzen konnte. Anschliessend arbeitete er in verschiedenen Auktionshäusern und erwarb sich vertiefte Kenntnisse nicht nur über Kunstobjekte, sondern auch über den Kunsthandel allgemein. Er gewann Einblicke hinter die Kulissen der Schacher- und Schiebergeschäfte der Kunsthändler und Auktionshäuser, oft von habsüchtigen, superreichen Sammlern vorangetrieben. Hussein verhehlte seine Abscheu gegen diese Kuppler und verheimlichte seine  Rachegefühle.
 
„Sie sind einer von uns“, wandte sich der Geschäftsführer eines Auktionshauses eines Tages an Hussein. „Ich habe einen Vorschlag, um Ihnen den Einstieg als Partner bei uns zu erleichtern“, fuhr er fort. „Ich schlage vor, dass Sie als akkreditierter Vertreter unseres Hauses zur Yacht des Scheiks von Qatar reisen. Er hat, wie Sie wissen, verschiedene islamische Artefakte bei uns ersteigert, die Sie seinem Mittelsmann überbringen werden – gegen Bezahlung in Goldbarren, die Sie dann im Safe unserer Schweizer Bank in Genf einlagern. Natürlich erhalten Sie den benötigten Begleitschutz und Beistand nach Nizza, wo die Yacht in der Marina verankert ist, und von dort aus zurück nach Genf.“
 
Mit allen notwendigen Papieren versehen, erreichte Hussein die Yacht des Scheiks von Qatar. Ein fürstlicher Empfang wartete ihm und seinem Begleitpersonal auf, worunter auch ein Anwalt, der den Austausch mit allen gesetzbrecherischen Finessen ausgetüftelt hatte. Die Transaktion musste auf dem offenen Meer, also internationalem Gewässer, stattfinden, ausserhalb jeder Grenze. Dafür waren 3 Tage auf dem Meer eingeräumt. Somit konnte Hussein einige Ferientage geniessen.
 
Auf der Yacht begegnete er Piet van Casteele, der als Kapitän diese und andere Yachten der Prominenz steuerte. „Seit 10 Jahren gondele ich auf dem Meer herum, aber so langsam habe ich genug und suche nach einem Verdienst auf festem Boden“, gestand er Hussein. Piet war nicht auf den Kopf gefallen und wusste von allerlei skandalösen Geschäften, die auf Yachten abgewickelt werden. „Wenn ich ein Boot hätte, würde ich die Kunstwerke mitsamt den Goldbarren verladen und verschwinden“, brummte Piet wie im Selbstgespräch in seinen Bart.
 
„Das hat nur einen Haken“, wandte Hussein ein, „wie werden Sie diese Kunstwerke los?“
 
Piet überdachte die Frage und erwiderte: „Wenn ich jemand wie Sie hätte, liesse sich diese Klippe umschiffen.“
 
Hier war unvermutet der Ansatz zu einer ganz anderen Partnerschaft gelegt, viel besser als ein Partner in einem Auktionshaus zu werden, ging Hussein durch den Sinn. Wunschvorstellungen erfüllen sich selten. Diesmal aber zappelte ein Fisch an der Leine der Vorstellung, die beide mit vereinten Kräften ans Land zogen und auseinanderbeinelten.
 
Piet und Hussein trafen sich in der Folge wiederholt und erwägten allerlei Möglichkeiten. Wie in den bisherigen Episoden berichtet, wurden sie zu „Blutsaugern der Blutsauger“. Nur eines liessen sie ausser acht: Sie verwickelten sie sich dabei ihrerseits tief in der Korruption, an der sie Anstoss genommen hatten …
 
Wieder in den aktuellen Verlauf der Geschehnisse eingespurt, galt es noch, den Verfasser der Glosse zu durchleuchten. Abgestützt auf die Auskunft eines Journalisten, konnte Piet herzlich wenig über diesen „Schnüffler“ ausfindig machen, ausser dass er wie ein Bluthund auf der Fährte blieb. Er sei als Berichterstatter auf Kunstdiebstähle spezialisiert. Er habe, so scheint es, von einigen internationalen Kunsthändlern zweifelhaften Rufs einige vage Hinweise ergattert, die er bereits in einem neuen Artikel verarbeitet hat, woraus er schloss, dass die gleichen Kunstdiebe neuerdings Turin und Neapel heimgesucht hätten. Sie scheinen von Privatsammlern abgelassen zu haben, vermutete der Verfasser. Ob sie auf Diebstähle von Gemälden umgesattelt haben, wie etwa kürzlich im Musée de l’Art Moderne in Paris geschehen, bezweifelte er, denn diese Diebe hinterliessen Spuren wie ein zerbrochenes Fenster, begünstigt von einem fehlerhaften Alarmsystem, und knackten ausserdem ein Vorhängeschloss auf, sehr im Gegensatz der Diebe von Kleinobjekten. Eines der gestohlenen Objekte wurde nebenbei in einer Sammlung aufgestöbert, endete der Artikel.
 
Dieser ominöse Hinweis beunruhigte Hussein und Piet.
 
Hinweis auf die vorangegangenen Stabhochspringer-Blogs
23.05.2010: Der Stabhochspringer (2): Ein verkappter Robin Hood?
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