BLOG vom: 19.04.2011
Wie der Schweiz die politische Mitte abhanden gekommen ist
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
In den letzten Wochen haben in vielen Schweizer Kantonen Wahlen in die Regierungen und Parlamente stattgefunden. Dabei wurden erdrutschartige Verluste bei den Parteien der Mitte vor allem in den Kantonen Basel-Land, Zürich, Luzern und Tessin registriert. In dieser erodierenden Mitte lavieren die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) und die Freisinnig-Demokratische Partei der Schweiz (FDP). Das sind Traditionsparteien, denen bisher eine grosse, staatstragende Bedeutung zukam. Sie sind seit Jahren von einem Schrumpfungsprozess befallen, der nicht zu stoppen ist.
Das übliche politische Schema
Am linken Rand des politischen Spektrums der Schweiz agiert die Sozialdemokratische Partei (SP), die von den „Grünen“ links überholt wird. Sie beide sind dem Globalisierungswahn verfallen, obschon diese Preisgabe von Selbstbestimmung und Unabhängigkeit (durch einen EU-Beitritt und Armee-Abschaffung) alles andere als im Interesse der Arbeitnehmerschaft wäre (Ausbau der Arbeitslosigkeit, sinkende Löhne). Bereits die bisherigen Erfahrungen mit der aufgezwungenen Vereinheitlichung der Welt haben gelehrt, dass die Arbeiterschaft zur Manipulationsmasse wird, was Unzufriedenheiten und Unruhen Tür und Tor öffnet. Rechts aussen findet sich die Schweizerische Volkspartei (SVP), welche sich für die traditionellen Werte und die Erhaltung der Freiheit der Demokratie Schweiz einsetzt und entsprechende Erfolge feiert; sie wurde auch dank ihres klaren Kurses zur stärksten politischen Kraft im Lande. Im Anklang an die erfolgreichen „Wahren Finnen" möchte man sie als die „Wahren Schweizer" bezeichnen ...
Zwischen den Extrempositionen war der Mittelpunkt schon lange nach links verschoben. Dort agieren auch die meisten Medien, die sich von nationalen Werten längst verabschiedet haben und damit an einem grossen Segment des Volks vorbeikommunizieren. Sie sind noch in einer Spät-68er-Gedankenwelt verfangen, welche die Veränderung um der Veränderung willen erzwingen will. CVP und FDP schwenkten schemenhaft auf diesen Kurs ein, schielten einmal nach links, dann nach rechts, wechselten den Kurs, bis sie im Hinblick auf das bittere Ende selber nicht mehr wussten, was eigentlich ihre politische Haltung war. Sie sind im Moment gerade im Analysieren ihrer ständigen Niederlagen begriffen; wie das genau geht, ist schwer auszumachen. Die Antwort läge auf der Hand: ein Zickzackkurs ohne klares Programm ist nicht markttauglich.
Die CVP hatte während Jahrzehnten die Familienpolitik für sich gepachtet und wirkt nun merkwürdigerweise an der aktiven Familienzerstörung durch Anschubfinanzierungen und Förderungen von Kinderkrippen mit. Und das hohe C in ihrem Namen ist im Rahmen des Zerfalls der Macht und Bedeutung des Katholizismus mit all seinen Skandalen und Verstössen gegen die Zeitrechnung ein Klotz am Bein. Die Freisinnigen ihrerseits zeigten sich globalisierungswillig, lavierten windfahnenpolitisch herum und hielten sich immer weniger an den Liberalismus als Grundlage ihrer Politik, verwedelten Schlagworte wie Freiheit, Eigenverantwortung, Chancengleichheit und eine Verantwortung gegenüber unserer Umwelt bis zur Unkenntlichkeit. Ihre heutige Absage an einen EU-Beitritt angesichts der Zerfallserscheinungen in dieser Schicksalsgemeinschaft wirkt nicht mehr so ganz überzeugend. Sie setzte sich nicht stark genug dafür ein, die masslose Zuwanderung unter allen möglichen Titeln in einem erträglichen Rahmen zu halten und zu steuern, obschon diese aus der Sicht des Schweizervolks zu einem der grössten Probleme wurde und die sozialen Zustände in allen Sektoren verändert – und zwar nicht immer in einer erstrebenswerten Weise.
Pendelschläge, die unregelmässig erfolgen, haben keine beruhigende, stabilisierende Wirkung, sondern sind willkürlich. Nicht einmal einer Pendule verzeiht man das unregelmässige Pendeln. Auf Zufallsbewegungen ist kein Verlass; man weiss nicht, woran man ist. Daraus ergaben sich die Mitglieder- und Stimmenverluste bei CVP und FDP. Die linke Mitte mit ihrem Verlierer-Image entvölkerte und entvölkert sich zunehmend, die CVP selbst in ihrem Stammland, dem Kanton Luzern. Ähnliche Erosionsprozesse finden bei den standardisierten Mitte-links-Medien statt, die orientierungslos am Volk vorbei berichten; zudem sind die Machtballungen in den wenigen hinterbliebenen Verlagshäusern als Folge des Zeitungssterbens bedrohlich.
Flucht nach rechts in der Sonnenstube
Im Tessin blühte die Lega dei Ticinese, eine ehemalige, 1991 vom Exzentriker Giugliano Bignasca gegründete unbedeutende Protestpartei, unter solchen Randbedingungen förmlich auf, weil sie gegen den Asylmissbrauch, die grenzüberschreitende Kriminalität und den EU-Beitritt kämpft. Die „Tribune de Genève“ zeigte Mitgefühl: „Wie die Genfer haben auch ihre Cousins im Tessin Angst vor der Grenze. Sie fühlen sich bedroht von Eindringlingen – im Form von Grenzgängern, illegalen Einwanderern oder gar kriminellen Nachbarn.“ So wurde die Lega dei Ticinese zur stärksten Partei im Tessin; sie belegt jetzt 2 der 5 Regierungssitze.
Pflege und Ausbeutung der Fukushima-Panik
Und dann kamen die Erderschütterungen und der Tsunami in Japan, welche die Kernkraftwerke in Fukushima schwer beschädigten; es scheint, als ob diese Anlagen nicht unter Kontrolle zu bringen seien. Währenddem sich die direkt betroffenen Japaner gefasst verhielten und alle Kräfte dafür einsetzten, die Verwüstungen aufzuräumen und provisorische Unterkünfte für die Menschen bauten, die Hab und Gut verloren hatten, begann sich im fernen Europa eine unbeschreibliche politische Hektik auszubreiten. Die kampagnehaften medialen Verzerrungen während Tagen und Wochen schlugen sich in der Schweiz und vor allem in Deutschland in einem unüberlegten Aktionismus unter dem Motto „Ausstieg aus der Atomenergie“ nieder, wobei keine Gedanken darauf verschwendet wurden, was das in der Praxis denn eigentlich heissen würde und ob es nicht sinnvoller wäre, kleinere und sicherere Atomkraftwerke zu entwickeln und zu bauen, statt die gesamte Landschaft mit sündhaft teuren Alternativenergien zu verschandeln und noch mehr CO2 zu produzieren.
Die neue Kraft
Die aufgewühlte Stimmung überrollte auch die Politik und gab der jungen Grünliberalen Partei Schweiz (GLP) einen ungeahnten Auftrieb und führte zu Sitzgewinnen in Kantonsparlamenten. Sie lehnt die Atomenergie klar ab, plädiert aber für einen geordneten und schrittweisen Ausstieg, ist also für ein pragmatisches Vorgehen, die einzige praktikable Lösung, wenn schon. Gegenüber den Linksgrünen, die das ökologische Anliegen zur Erreichung sozialistischer Ziele vorschieben, sind die Grünliberalen doch eher in der politischen Mitte anzusiedeln und damit befähigt, die CVP- und FDP-Lücken zu füllen.
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Im Hinblick auf die nationalen Wahlen im Oktober 2011 in der Schweiz misst man den nunmehr bekannten Wahlresultaten eine prophetische Aussage bei. Aber bis im Herbst werden wieder andere Katastrophen und Skandale medial aufbereitet werden und im Rahmen der engen Weltbilder, die wir vorgesetzt erhalten, ihre Rolle auf Zeit spielen. Politische Kernschmelzen kommen und gehen, und aus den Ruinen erblühet neues Leben unter neuen Namen.
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