Textatelier
BLOG vom: 17.10.2011

Slowakei: Das Wunderbare an der EU-Mitsprache erlebt

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
„Wir (Schweizer) müssen in die EU, um mitreden zu können.“ Diesen haarsträubenden Blödsinn habe ich in den vergangenen Jahren in zahllosen Gesprächen, aus Politikergeschwätz und aus verblödeten Medienberichten über mich ergehen lassen müssen.
 
Dazu haben wir jetzt das Beispiel Slowakei, ein Teil der ehemaligen Tschechoslowakei mit knapp 5,5 Mio. Einwohnern. Das Land, dessen Dimensionen mit der Schweiz vergleichbar sind (etwas mehr Fläche und weniger Einwohner) ist seit 2004 Mitglied der EU und kann also mitreden. Mitreden!
 
Das slowakische Parlament hat die Gelegenheit erfasst und mitgesprochen. Zuerst einmal lehnte es den erweiterten Rettungsschirm EFSF (European Financial Stability Facility = europäisches Finanzstabilisierungssystem) ab. Wieso soll ein Land, das gespart hat und in dem die Altersrente etwa fünfmal kleiner als in Griechenland ist, das dortige süsse Nichtstun und das Geldverprassen unterstützen? Die Slowaken wären nicht ganz beisinnen gewesen, hätten sie ihr Geld für einen Rettungsschirm an sonnigerer, lebensfroherer Lage hinausgeworfen.
 
Weil aber alle zustimmen mussten, um den Rettungsschirm zu retten, hatte der weise Entscheid EU-weite Folgen. Somit konnte es theoretisch keinen Rettungsschirm geben, und die Euro-Krise, die täglich neue, verzweifelte Rettungsaktionen gebiert und allmählich selbst die Retter langsam aber sicher zu hilfsbedürftigen Objekten macht, hätte einen anderen Verlauf nehmen müssen.
 
Infolgedessen wurde die widerspenstige Slowakei in die Zange genommen. Der Druck aus Brüssel und Berlin wuchs bis zur wirtschaftlichen Erpressung an, so dass die Slowakei, die mitgesprochen hatte, unverzüglich nachgeben musste. Sie stimmte am 13.10.2011 zu.
 
Der Anschub für das sofortige Umdenken kam als wirtschaftliche Version der Foltermethoden daher, die von den USA, dem globalen Vorbild, wieder salonfähig gemacht worden sind. Wobei selbstverständlich nur die Guten foltern dürfen; Böse müssen sich anständig verhalten. Das Parlament in Bratislava beschloss zwischen den beiden Abstimmungen mit gegensätzlichen Resultaten Neuwahlen nach Wunsch der Sozialdemokraten unter dem ehemaligen Kommunisten Robert Fico und verabschiedete sich von der Regierung unter Ministerpräsidentin Iveta Radicova von der christdemokratischen SDKU-DS. Und jetzt war die Beteiligung der milliardenschweren Hilfe des sparsamen Landes an hoch verschuldete EU-Verschwenderländer plötzlich genehm.
 
Die Slowakei hat an den Fonds von den 440 Milliarden Euro einen Anteil von 7,7 Milliarden Euro beizutragen. EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso lobte die Slowaken für die Ratifizierung des erweiterten Schutzschirms, schwang sich sogar zu einer Gratulation auf. Es ist wie bei vielen Religionen aus dem Bibel-Umfeld: Wer sich spendierfreudig zeigt, kommt in den Himmel.
 
Man sieht am Beispiel der Slowakischen Republik, wie wunderschön die Mitsprache innerhalb der Europäischen Union funktioniert. Wie es sich für eine Republik gehört, hat das Staatsvolk die höchste Macht. Seine Vertreter dürfen, sollen, ja müssen immer wieder über das gleiche Geschäft abstimmen, bis genau das Resultat herauskommt, das Brüssel vorgegeben hat. Das ist die neue, aktuelle Form der Demokratie, der Volksherrschaft, wie sie gerade auch den arabischen Ländern aufgezwungen wird. Oberhalb von Brüssel sind nur noch die USA. Über allem steht, abgesehen von den Machthabern, die Gleichheit, die nur durch Gleichschaltung zu erzielen ist. Und das Wort Demokratie hat eine neue Bedeutung: das Vorgegebene abnicken und durchwinken. Wenn es nicht spontan gelingt, dann eben im 2. Ablauf, beflügelt von wirtschaftlicher und politischer Erpressung.
 
Wir dürfen mitreden und das heisst: in den Chor der Massen einstimmen. Bloss Abweichler werden am Boden zertreten.
 
Auf dass die griechische Sonne weiterhin subventioniert scheinen möge. Und alle möchten gemeinsam im Schwarmflug wie ehedem Ikarus der Sonne entgegenfliegen.
 
PS: Noch immer gibt es in der Schweiz Menschen, die der EU beitreten wollen – um mitreden (mitzahlen) zu können. Grenzt nicht auch das ans Wunderbare?
 
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