Textatelier
BLOG vom: 19.10.2011

Zeppelin-Museum Friedrichshafen: Fahrten ins Ungewisse

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
„Dem Erfindergeist von Ferdinand Graf von Zeppelin und Claude Dornier Anfang des 20. Jahrhunderts ist es zu verdanken, dass die Region (gemeint ist die deutsche Bodensee-Umgebung) noch heute von Luft- und Raumfahrttechnik geprägt ist. So gingen aus dem Luftschiffbau Zeppelin erfolgreiche Unternehmen wie EADS (European Aeronautic Defence and Space Company, Europas grösster Luft- und Raumfahrt sowie zweitgrösster Rüstungskonzern), ZF (weltweit führender Automobilzulieferkonzern in der Antriebs- und Fahrwerktechnik), Zeppelin GmbH oder der Antriebs- und Energieanlagenspezialist Tognum (mtu) hervor. Indirekt entstanden daraus auch viele kleine und mittlere hoch spezialisierte Technologiefirmen“. Dies ist im „Wirtschaftsmagazin Bodensee“ (2011-8) zu lesen. Der Titel: „Mit Zeppelin fing alles an“. Und diese Geschichte wirkt nach.
 
Tatsächlich ist es die Industrie, die Friedrichshafen D mit den rund 59 000 Einwohnern, der früheren Reichstadt Buchhorn mit dem Schloss Hofen, den Stempel aufgedrückt hat – und wegen der angenehmen Lage dieser Stadt spricht man von „Hightech im Garten Eden“, wobei dieser Garten am nördlichen Bodensee-Ufer vor allem aus Reben und Niederstamm-Apfelintensivkulturen unter Netzen besteht. Selbst der Garten Eden ist hier durchrationalisiert.
 
Die Ursprünge der Industrialisierung im Dreiländereck Deutschland-Österreich-Schweiz sind im seenahen Zeppelin-Museum in Friedrichshafen abzulesen. Die Erinnerungsstücke an den Traum von der Schwerelosigkeit sind seit 1996 im ehemaligen Hafenbahnhof mit seiner Bauhaus-Architektur (Funktionalismus und klassische Moderne) zu sehen; das Museum steht unmittelbar am Ort des ehemaligen Geschehens. Daneben sind langgezogene Flachdachbauten, die übliche Hafenarchitektur, wie sie sich oft auch für Logistikbauten im Flug- und Strassentransportwesen aufdrängt.
 
Besonders eindrücklich ist die originalgetreue Rekonstruktion eines 33 Meter langen Teilstücks des Zeppelins „LZ 129 Hindenburg“, weil es einen Eindruck von den unglaublichen Dimensionen der fliegenden Silberzigarre vermittelt. Bis heute wurde kein grösseres Luftschiff mehr konstruiert. Die 245 m lange „Hindenburg“, benannt nach dem deutschen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, hatte einen Durchmesser von rund 41 m, und so gab es im Inneren des Starrluftschiffs mehr als genug Platz für einen Gesellschaftsraum, einen Speisesaal, eine Bar, einen Rauchsalon und Schlafkabinen für 50 bis 72 Reisende.
 
Man betritt das Zeppelin-Fragment über das Fallreep (mobile Treppe zum Ein- und Ausstieg) und erlebt im Inneren des Auftriebkörpers die Resultate eines unbändigen Glaubens in die Möglichkeiten der Technik im Hinblick auf ein luxuriöses Lebens. Aerodynamik, Leichtbau und Mobilität waren neben Prunk die Zauberworte, die zu phänomenalen Leistungen führten. Für die Fahrgäste, die für die Überfahrt nach Amerika nach heutigem Geldwert etwa 4000 bis 5000 Euro zu bezahlen hatten, wurde alles getan. So waren entlang des Rumpfs Galerien eingerichtet, welche den Ausblick nach unten und damit auf die Landschaft gewährleistet; einige Fenster konnten sogar geöffnet werden. Ferdinand Adolf August Heinrich Graf von Zeppelin (1838‒1917) setzte seine Visionen um und setzte sich darüber hinweg, wenn diese als Narreteien empfunden wurden. Und es war zudem anstössig, wenn sich ein Adliger und Generalleutnant mit dem Bau von Fluggerät in einer schwimmenden Halle auf dem Bodensee beschäftigte. Es kam zu Rückschlägen; eine Notlandung des Luftschiffs „LZ 1“ am 02.07.1900, weil destilliertes Wasser in einen Benzintank gefüllt worden war, schädigte den Ruf und zehrte an den Mitteln. Die „LZ 4“, die bei Echterdingen D gelandet war, wurde 1908 von einem Sturmwind ergriffen, wurde an Bäume geschleudert und explodierte. Spenden ermöglichten ein Weitermachen, an dem sich erstklassige Techniker, Ingenieure und Kapitäne beteiligten, die im relativ neuen Buch „Ferdinand Graf Zeppelin“ von John Provan (Delius Klasing 2009) einzeln beschrieben sind. Dem Buch sind einzelne Daten für dieses Blog entnommen.
 
Die Zeppeline wurden während des Ersten Weltkriegs, wo sie militärischen Zwecken dienten, immer grösser – in mehreren Hallen in Friedrichshafen, bei Löwenthal, in Frankfurt-Rebstock, Berlin-Staaken und Potsdam wurden Luftschiffe serienweise zusammengebaut, allein in der Doppelhalle in Friedrichshafen waren es bis 1915 nicht weniger als 28 Stück. Doch liefen die beweglicheren Flugzeuge den Zeppelinen, leichte Angriffsziele, den Rang ab.
 
Im Museum sind Teile der filigranen Trägerelemente zu sehen, ein unregelmässig anmutendes, vernietetes Gewirr von Aluminiumstäbchen, Leichtbau auf höchstem Niveau, die einen Eindruck davon vermitteln, wie Tausende von Details beachtet und erfunden werden mussten – die Konstrukteure vollbrachten in Anbetracht der damals zur Verfügung stehenden Mittel Glanzleistungen. Noch übertroffen wurden diese Konstruktionen zum Beispiel bei einem Knotenpunkt zwischen dem Hauptringeck (Verspanneck) mit Sprengwerksträgern und dem Längsträger. In der Metallbau- und Motorentechnik waren die Deutschen schon immer Meister.
 
Dazu sei auch ein Hinweis auf die Maybau-Motorenbau GmbH gestattet, hatte doch Karl Maybach 1908 einen Motor für die Anforderungen für Zeppeline entwickelt. Im Museum ist ein Maybach-Oldtimer ausgestellt: „Maybach DS 8 Zeppelin aus dem Jahr 1938/39. Das 3,6 Tonnen schwere Auto mit seinem stromlinienförmigen, elegant geschwungenen Design besitzt einen Zwölfzylinder-Maybach-Motor mit einer Leistung von 200 PS (Hubraum 7,922 cm3). Es ist noch fahrtüchtig, wegen des Fehlens einer Servohilfe aber mühsam zu lenken, wie mir ein Aufseher sagte, was besonders bei den vielen Verkehrskreiseln ins Gewicht falle.
 
Im Rahmen eines eindrücklichen, dreidimensionalen Films werden die Besucher des Museums mit den wichtigsten Kennzahlen gefüttert: Von den bis zu 242 Tonnen Gesamtgewicht entfielen etwa 118 t auf das Leergewicht. Das normale Dienstgewicht lag bei rund 220 t. Der Zeppelin besass eine Ladefähigkeit für etwa 11 t Post, Fracht und Gepäck. Zudem konnten 88 000 Liter Dieselkraftstoff, 4 500 Liter Schmieröl und 40 000 Liter Wasserballast mitgeführt werden. Als Antrieb dienten 4 speziell entwickelte Daimler-Benz-Dieselmotoren in 4 stromlinienförmigen Gondeln, die paarweise unter dem Rumpf angebracht waren. Die Motoren besassen eine Dauerleistung von je 588 bis 662 kW und eine Höchstleistung von 883 kW (800 bis 900 bzw. 1200 PS). Als Luftschrauben kamen 6 m durchmessende, vierflügelige, aus Holz gefertigte Druckpropeller der Firma Heine aus Berlin zum Einsatz. Das Luftschiff erreichte eine maximale Reisegeschwindigkeit von etwa 125 km/h und hatte eine Reichweite von bis zu 16 000 km. In der Regel wurde 300 bis 500 m über dem Grund geflogen (Quelle:
 
Das sind eindrückliche Zahlen, welche die Leistungen der Zeppelin-Erbauer erahnen lassen. Und der „LZ 129“ war nur einer von vielen, die auch zu militärischen Zwecken erbaut wurden, wohl aber der berühmt-berüchtigste. Am 6. Mai 1937 fing das Heck dieser Ausgabe der Superlative bei der Landung in Lakehurst Feuer, und innerhalb von Sekunden ging das grösste Luftschiff aller Zeiten in Flammen auf. 36 Menschen verloren ihr Leben. Die genaue Ursache der Katastrophe blieb lange ungeklärt. War es Sabotage? Neuere Erkenntnisse sprechen sich klar für ein Unfallszenario aus, bei dem der neuartige Lack des Zeppelins eine fatale Rolle spielte. Danach fing die Hülle aufgrund elektrostatischer Entladung Feuer, so dass sich schliesslich auch der Wasserstoff entzündete.
 
Aber das definitive Ende der Zeppelin-Geschichte war dies nicht. Seit 1993 werden in Friedrichshafen wieder Luftschiffe gebaut, und der „Zeppelin NT“ kann seit 1997 für ruhig schwebende Flüge gebucht werden. Den Auftrieb liefert unbrennbares Helium, umschlossen von einem extrem reissfesten Hüllenmaterial. Die starre Konstruktion des Zeppelins ist dreiecksförmig und besteht aus Aluminium und Kohlefasern. Und die 2005 gegründete Zeppelin Europe Tours AG hat sich ebenfalls daran gemacht, die Träume der fliegenden Zigarren neu und im grösseren Stil zu beleben, unterstützt von einem Förderverein, der in D-88014 Friedrichshafen ansässig ist (www.zeppelin-tourismus.de und www.zeppelinflug.de). Man will ein Tourismussystem mit 10 Luftschiffen in mehreren europäischen Ländern schaffen, und Zeppeline auch als Werbe- und Sympathieträger einsetzen. Denn wenn ein Zeppelin auftaucht, schaut man staunend hin.
 
Und ebenso staunend schaut man hin, wenn man im Raum 9 des Zeppelin-Museums Gemälden von Otto Dix (1891‒1969) und Max Ackermann (1887‒1975) begegnet; auch ältere südbadische Künstler sind vertreten. Von Dix sind eine Reihe von „Weibsbildern“ zu sehen, überspitzt dargestellte Gesichter von schillernden Frauen, die für Lust, Versuchung, Schönheit, Hässlichkeit und Vergänglichkeit stehen. Ackermanns Refugium war das Gebiet zwischen Stuttgart und dem Bodensee – ähnlich demjenigen der Zeppeline. Er gilt als Maler der Farbe Blau, und damit ist ein Bezug zur Luft und zur Luftschifffahrt (aber auch zum See) geschaffen – mit all ihren Fahrten ins Blaue.
 
Unsere eigene hatte am 06.10.2011 ein fest definiertes Ziel: mit der Fähre, die keine Stromlinienform kennt, nach Romanshorn und zurück in den Aargau, der ebenfalls einmal wegen rauchender Zigarren berühmt war bzw. dank „Burger Söhne“ noch ist, wenn auch die Dimensionen der kunstvollen Tabakrollen etwas bescheidener sind. Das nonkonforme Verhalten kann so oder so aber zu Beachtung und Ansehen führen.
 
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