Textatelier
BLOG vom: 29.06.2012

Fundstück: Verjüngungskur für dekorative Bronzesphinx

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Es ist nicht das 1. Mal, dass ich mich über ein Fundstück auslasse …
 
Am letzten Samstagmorgen sah ich im Ramschmarkt von Wimbledon eine arg verdreckte Sphinx aus Bronze und kaufte sie spontan für £ 1.50, wohl wissend, dass ich meine Fingerbeeren wundreiben werde, um die Sphinx wieder auf ihren ursprünglichen Bronzeglanz zu polieren. Lily rümpfte die Nase, und wollte sie nicht im Haus auf einem Gestell sehen und schlug vor, dass ich sie schleunigst verkaufen sollte.
 
Diese Fabelfigur eines auf Löwenbeinen aufgestützten weiblichen Oberkörpers mit entblössten Brüsten, gefolgt vom Löwenleib mit geringeltem Schwanz, diente als einstiger Möbelaufsatz und ist vermutlich vor rund 200 bis 250 Jahren nach antiker Vorlage in Frankreich gegossen worden. Sie wiegt 300 g und ist 11 cm lang. Der Kopf meiner Sphinx ist von einer ziselierten Haube umrundet, woraus sich ihr satt geknoteter Haarkranz entwellt, oberhalb des Busens verschlauft. Auf ihrem Löwenrücken ruht ein wiederum mit Ornamentik ziselierter Überwurf.
 
Von den Pyramiden in Ägypten verbreiteten sich die Grossskulpturen der Sphinx über Griechenland in Europa und bewachen bis auf den heutigen Tag gebieterisch viele Toreingänge rechts und links vor Palästen und anderen Prunkgebäuden. Ich wundere mich, auf welchem Weg sich meine Kleinskulptur im „Car Boot“-Markt eingefunden hatte.
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Es scheint mein selbst gewähltes Los zu sein, immer wieder mit mehr oder weniger havariertem Zierrat, etwa mit Silber eingelegten Seitentischchen aus der ottomanischen Periode oder chinesischen Vasenständern aus Ebenholz und alten im Barockstil umrahmten Spiegeln ins Haus zu kommen. Solche Funde muss ich sofort restaurieren, sonst enden sie als Gerümpel im Schuppen. Mit der Restaurierung wird Mehrwert geschaffen, was sich auszahlt, sollte ich hin und wieder einige Objekte verkaufen oder gegen alte Stiche eintauschen.
 
Während besseren Zeiten kehrte ich von meinen Reisen mit weitaus besseren Trouvaillen als heute nach Hause: Gallé- oder Daumväschen mit pflanzlichen Dekor in mehrfarbigem Überfangglas eingebettet, exquisite Kleinbronzen des Jugendstils usw.
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Diesmal galt meine Augenmerk der Sphinx. Mit einem Zahnstocher gelang es mir, zuerst einen Teil der verkrusteten Stellen aus den Bronzefugen zu klauben. Nachher legte ich sie in eine nach meinem Hausrezept gepanschte Lauge. Am nächsten Tag bearbeite ich die Sphinx mit einer alten Zahnbürste. Die Sphinx sträubte sich gegen meine Remedur. Ich verstärkte die Lauge und liess sie darin für einen weiteren Tag auf dem Gartentisch liegen. Das dürfte sie besänftigt haben.
 
Mit einer ausgedienten Brille schützte ich am nächsten Morgen meine Augen vor ätzenden Laugenspritzer, zwang meine Hände in enge Gummihandschuhe und begann mit Hartholz und mit Sohlenteilen eines alten Schuhs zu reiben, reiben, reiben – stundenlang, wie besessen. Sollte ich mein Unterfangen aufgeben? Nein, zäh und verbissen bearbeitete ich die Bronze – und siehe: Da und dort brach die Vergoldung durch und glänzte unter den Sonnenstrahlen. Ich hatte wirklich eine Kaffeepause verdient und rauchte dazu eine Zigarette.
 
Warum nicht, von Musik rhythmisch unterstützt, weitermachen? Das war die Lösung, die den Dreck von Jahrhunderten nach und nach löste. Ich arbeite nicht mehr verbissen, sondern gelenkiger und gelöster mit kräftigem Nachdruck zum Takt aus dem Handgelenk und den Fingerbeeren. So spielte es sich leichter in diesem Streichorchester.
 
Der Rest war Kinderspiel: Im heissen Wasserbad tilgte ich die letzten Spuren der Lauge und gab der Sphinx eine letzte Politur mit der „Brasso“-Watte. Anschliessend bestrich ich die Bronze mit Bienenwachs. Dank Lilys Haartrockner (Lily war ausser Haus), liess ich den Wachs in alle „nook and grannies“ (in Omas Ecken) eindringen. Zuletzt brauchte ich die Figur nur noch sanft zu streicheln und konnte dann, Kaffee trinkend, mein Werk bewundern.
 
Ehe Lily zurück war, hatte ich alle Utensilien verstaut. Und wahrlich, meine Sphinx beeindruckte auch sie – bis zu einem gewissen Grad! So gilt es nur noch, den Standplatz meiner Sphinx, Lilys Einverständnis vorausgesetzt, zu bestimmen. Wenn nicht, wird meine Sphinx als Papierbeschwerer in meinem Schreibzimmer Platz finden.
 
Wieder einmal bewahrheitete sich mir, dass sich Mühen lohnen, wiewohl ich mit meinen Fingerbeeren lieber Schreibtasten berühre – wie eben jetzt. Diese Niederschrift beansprucht nicht mehr als 2 Stunden. Inzwischen haben sich meine Fingerbeeren, dank Vaseline, erholt.
 
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