Textatelier
BLOG vom: 14.10.2012

Tierische und menschliche Maulwürfe leben gefährlich

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Niederrhein D
 
Das „Maul-“ im Namen des Maulwurfs hat nichts mit Maul zu tun, sondern kommt von „Mull“, eine Erdform. Mull ist eine altertümliche Bezeichnung. Man findet sie noch bei einigen Arten des Maulwurfs, z. B. dem Spitzmull. Ein Maulwurf ist also ein Erdwerfer. Er ist ein Einzelgänger und gräbt sich mit seinen ausgeprägten Vordergliedmassen, die ähnlich wie die menschliche Hand ausehen, auf der Suche nach Insekten, Würmern und Larven Gänge durch die Erde. Dunkelheit umgibt ihn. Im Erdinnern benötigt er keine Augen, hat aber einen Geruchs- und Gehörsinn und Tastsinne, mit denen er sogar leichte elektrische Reize wahrnehmen kann, die bei der Muskeltätigkeit seiner Beutetiere entstehen. Nur durch die Maulwurfshügel, die das Grabungsmaterial ans Licht bringen, wird seine Aktivität sichtbar.
 
Er lebt also überwiegend allein und im Dunkeln, am Tag und in der Nacht. Auf der Suche nach Nahrung wühlt er sich durch, bis er etwas Fressbares entdeckt. Nur einige von ihnen teilen sich reiche Beute mit Artgenossen.
 
Das macht die Art vergleichbar mit menschlichem Verhalten. Und wenn in den Medien über „Maulwürfe“ berichtet wird, sind meistens Menschen gemeint, denen dieses Verhalten nachgesagt wird. Ein anderer Name für Menschen mit diesen Eigenschaften ist „U-Boot“. Auch ein U-Boot navigiert im Verborgenen. Seine Ziele sind nach aussen hin unbekannt, es bleibt im Dunkeln.
 
Bei der Polizei wird einer gesucht, der die Razzien gegen die kriminellen Rockerszenen verraten haben soll. Im Vatikan wurde der Informant gesucht, gefunden und verurteilt, der dem Journalisten Gianluigi Nuzzi vertrauliche Inhalte für sein Buch weitergegeben hatte. Die Schweizer Behörden suchen die Verkäufer von Daten, in denen Namen und Konteninhalte von sogenannten Steuersündern enthalten sind, und die die Diebe an deutsche Behörden veräussert haben. Immer wieder sickern aus vertraulichen Akten Informationen an die Öffentlichkeit durch. Ohne Maulwürfe oder U-Boote hätte WikiLeak nie etwas veröffentlichen können.
 
Warum wird jemand ein „Maulwurf“? Dafür können „edle“ Gründe verantwortlich sein: Eine Person ist der Meinung, dass etwas „ans Licht“ kommen soll, was andere verbrochen oder verbockt haben. Dann wird auch vom „whistleblower“ gesprochen, „Pfeifenbläser“ oder auch als amerikanisches Idiom für „Aufdecken von Fehlverhalten“ übersetzt. Das kann bis zu Rücktritten, z. B. von Politikern, und zu Regierungswechseln führen. Manche der whistleblowers werden hochgelobt und geehrt.
 
Dahinter können aber auch reine finanzielle Interessen stehen. Jemand will schlichtweg mit geheimen Informationen Geschäfte machen. Das ist eindeutig bei dem Verkauf von Steuer-CDs der Fall, die aus der Schweiz an deutsche Behörden verkauft wurden. Dass sie genutzt werden dürfen, hat das deutsche Bundesverfassungsgericht für rechtens erklärt. Denn der Datendiebstahl und der Kauf seien bei der Nutzung durch die Steuerbehörden bereits „abgeschlossen“.
 
Eine fragwürdige Sache, denn eine gestohlene Sache wird zu Geld gemacht, was den Tatbestand der Hehlerei umfasst. Es werden also Kriminelle bezahlt, damit Steuerflüchtlinge, die ebenso als „kriminell“ bezeichnet werden, bestraft oder dazu gebracht werden, sich selbst anzuzeigen und ihre Steuerlast zu entrichten. Dass dieses Vorgehen nicht ungewöhnlich ist, kann man an der Kronzeugenregelung oder bei „V-Leuten“ sehen, die in ihrer „Maulwurfstätigkeit“ möglicherweise auch Straftaten begehen müssen, um Straftaten den Behörden kenntlich zu machen.
 
Es riecht in meinen Augen auch kriminell, wenn der Datendieb vom deutschen Staat bezahlt wird, dieser dabei noch eben Einkommensteuer davon einbehält und die Überweisung des Gelds drittelt und auf Konten in verschiedenen Ländern, nämlich in Deutschland, Österreich und Tschechien auszahlt. Wenn Privatbürger so etwas tun, wittern die Behörden sofort Strafbestände wie Geldwäscherei und andere illegale Geschäfte. Der Staat verhält sich also nicht anders als ein potenzieller Straftäter.
 
Die Schweizer Behörden können nicht anders, als den Datendiebstahl und -verkauf als Straftat zu verfolgen. Ein durch die Behörden Festgenommener, augenscheinlich wirklich der Täter, nahm sich in der Untersuchungshaft das Leben. Jetzt stellt sich meines Erachtens die Frage, ob der Käufer der Daten-CD in Deutschland, namentlich der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjahns, sich nicht zumindest moralisch am Tod des Täters mitschuldig gemacht hat. Schliesslich wäre dieser noch am Leben, hätte Walter-Borjahns den Kauf abgelehnt. Dass die Schweizer Behörden jetzt einerseits das erhaltene Geld versteuern wollen und andererseits die Staatsanwaltschaft in der Schweiz es als unrechtmässig erlangtes Diebesgut ansieht und einziehen will, ist geltendes Schweizer Recht.
 
Das Beispiel zeigt, dass Maulwürfe gefährlich leben. Nicht nur die tierischen in der Natur, denen die Gärtner oft genug den Garaus machen, weil der doch so schöne gepflegte Rasen zerwühlt wird. Den Gartenfreunden geht nicht in den Kopf, dass Maulwurfshügel ein Anzeichen dafür sind, dass der Boden gesund ist, voller Insekten und Würmer. Für die Rasentrimmer ist nur der künstlich wirkende, tadellos aussehende Rasen wichtig. Also der schöne Schein.
 
Der soll jetzt auch in der Bundesrepublik Deutschland gewahrt sein. Es werden nämlich horrende Milliardensummen genannt, die vorher dem Fiskus vorenthalten worden seien, und die durch die gekauften Steuer-CDs von den Steuersündern entweder freiwillig oder durch Verfahren bezahlt würden. Da kann man ja die fragwürdige Rechtslage, das Verhältnis zwischen der Schweiz und Deutschland, das Schicksal des Datendiebs unter den berühmten Teppich kehren, denn das Ziel wurde damit erreicht. Und worauf kommt es im Leben an? Auf das Geld!
 
Mich lässt die Frage nicht los, warum staatliche Stellen Hehlerei grossen Stils betreiben können, und das Bundesverfassungsgericht das sogar gutheisst, was bedeutet, dass es nicht sanktioniert wird. Aber der Hehler, dem jemand billig ein paar Kilo Kupfer verkauft und der diese dann weiter verhökert, wird dafür der Hehlerei angeklagt und mit einer Geldstrafe oder gar Gefängnis bestraft.
 
Kein Wunder, dass dieser kleine Hehler dann am deutschen Rechtssystem verzweifelt und denkt, dass „die da oben“ machen können, was sie wollen, denn sie zieht keiner zur Verantwortung.
 
Unsere Regierung und besonders der Finanzminister von NRW fühlen sich im Recht. Wer seine Einkünfte vor dem Finanzamt versteckt, ist ein Gesetzesbrecher. Ob die Höhe des Steuersatzes dazu nicht geradezu anspornt, weil der „Steuerflüchtling“ sie als ungerecht und den Staat als habgierig ansieht, bzw. das, was der Staat mit den Steuern anstellt, als nicht hinnehmbar, interessiert nicht. Denn Gesetz ist Gesetz und Steuersatz ist Steuersatz.
 
Schade, dass wieder der Name einer Tierart für menschliche Abgründe herhalten musste. Die Bezeichnung passt nämlich bis auf die Aktivitäten unter der Erdoberfläche überhaupt nicht. Menschliche „Maulwürfe“ sind weder nützlich, noch an ihren Lebensraum angepasst, sondern auf ihren eigenen Vorteil bedacht, jedenfalls meistens.
 
Die menschlichen Eigenschaften und Benennungen, für die Tiernamen herhalten müssen, haften den Tieren als Vorurteile an. So ist ein Schwein nicht schmutzig, eine Sau nicht dumm, ein Esel nicht störrisch, eine Ratte nicht hinterhältig, ein Fuchs nicht listig und ein Hund nicht blöd. Den Tieren kann’s egal sein, was der Mensch von ihnen denkt! Wenn er sie bloss anständig behandelt.
 
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