Textatelier
BLOG vom: 25.08.2013

Zum Tod von Hugo Suter, Birrwil AG: Kultur findet vor Ort statt

Autor: Pirmin Meier, Schriftsteller und Historiker, Rickenbach LU
 
Hugo Suter, geboren am 12.08.1943 in Aarau, verstorben im Raum Hallwilersee am 16.08.2013, gehörte seit mindestens 40 Jahren zu den anerkannten Schweizer Kunstschaffenden seiner Epoche. Der gelernte Tiefdruckretoucheur (Zofingen 1959–1963) wurde nach der Absolvierung der Kunstgewerbeschule in Mötschwil BE von dem das Schweizer Kunstschaffen nachhaltig prägenden Bernhard Luginbühl ausgebildet und war einige Jahre an der wohl besten Progymnasialstufe in der Schweiz von damals, der aargauischen Bezirksschule in Buchs AG, als Zeichenlehrer tätig, was man in einer Biographie – ich sage das als Autor und ehemaliger Bezirkslehrer – nicht unterschätzen sollte. Der Wert einer solchen Tätigkeit ist einem Eidgenössischen Kunststipendium oder dem Werkjahr einer Literaturförderung mindestens ebenbürtig. Soweit nämlich Kunst in der „Kunstszene“ stattfindet, Literatur in der „Literaturszene“, bleibt die Ausübung eines sogenannten bürgerlichen Berufes zumal in der Deutschschweizer Tradition für Kulturschaffende in hohem Masse angemessen.
 
Suter wuchs im stattlichen Industriedorf Gränichen AG auf und lebte zuletzt in Birrwil AG am Hallwilersee, einer der idyllischsten Gemeinden des Kantons Aargau. Als Poet dieses Sees ist der Badenser Joseph Victor von Scheffel (1825–1885) am bekanntesten geworden. Dieser See hat denn auch, analog etwa zu dem in Reinach im Oberwynental lebenden Landschaftsmaler Kurt Hediger, das Schaffen von Hugo Suter nachhaltig geprägt, so wie er sich in Muri AG fruchtbringend mit dem Alpenmaler Kaspar Wolf auseinandersetzte.
 
Lebenslänglich beschäftigte sich Hugo Suter mit Malerei, Zeichnung, Fotografie, Objektkunst und Installationen. Glas gehörte zu einem seiner bevorzugten Bildträger. Der Künstler setzte sich intensiv mit den Zusammenhängen zwischen künstlerischem Gestalten und wissenschaftlichem Forschen auseinander, was unter anderem auch als Wahrnehmungsforschung bezeichnet wurde. Er wollte in diesem Sinn nicht nur Praktiker sein, sondern sich auf eine theoretische Grundlage beziehen. In dem Ausmass, da moderne Kunst nicht volkstümlich sein und im herkömmlichen Sinn nicht gefallen will, wie etwa Suters Fensterbilder an der Alten Kantonsschule Aarau, wurde die ideologische Durchdringung des Kunstschaffens für ihn wie auch für andere umso wichtiger.
 
Als bezeichnend für Suters Schaffen gelten thematische Werkgruppen, die jeweils eine bestimmte Fragestellung in den Vordergrund stellten, die den Künstler über längere Zeit hinweg beschäftigten. Es gibt Verbindungen zwischen diesen einzelnen Themenblöcken, gleichzeitig aber auch Einzelwerke, die ausserhalb dieses Zusammenhangs stehen.
 
Zu seinem Hauptwerk gehört der 65 Teile umfassende Paravent (1978–1995/2002) aus zaunartig in den Raum gestellten Fensterflügeln mit wechselnden Oberflächenerscheinungen des Hallwilersees.
 
Eine schöne, das Werk treffende Darstellung, die auf dem Weg zu einer angemessenen Würdigung ist, hat die Kunsthistorikerin und Kulturjournalistin Sabine Altorfer in der „Aargauer Zeitung“ geleistet. Hugo Suter wurde seinerzeit hochverdient mit dem Kulturpreis der AZ-Medien ausgezeichnet, analog zum Verleger Egon Ammann und den Poeten Franz Hohler und Klaus Merz.
 
Sabine Altorfer: Wasser, Licht und Glas waren seine Elemente. Sinnestäuschungen und Forschungen bis auf den Seegrund sein Metier. Der leise Wellengang, das regelmässig-unregelmässige Muster auf seinem Hallwilersee, die Spiegelungen des Lichtes, der Nebel: Wie oft und wie viele Stunden hat Hugo Suter dies in seinem Leben wohl betrachtet? Oft und lange. Denn der See, die flüchtigen Erscheinungen haben Hugo Suter fasziniert und sein künstlerisches Werk geprägt. Manchmal humorvoll, manchmal melancholisch, aber immer mit grossem Ernst, mit bewundernswerter Akribie und noch erstaunlicherer Vielfalt hat er die Erscheinungen in Bilder gefasst. In Zeichnungen, Objekte, Fotografien, welche die Betrachter lächeln und staunen liessen; sie bezauberten und verzauberten.
 
Suter hatte Erfolg, wurde vielfach ausgezeichnet. International gelang der Durchbruch aber nicht. Dafür fehlten das Gespür für oder der Drang zum Markt – oder ein ehrgeiziger Galerist. Doch in der Kunstszene ist der Tüftler vom Hallwilersee eine Grösse wie Markus Raetz, Urs Lüthi oder Dieter Roth. Sie haben die Schweizer Kunst umgekrempelt.
 
Wissenschaftlich vermessen im engeren Sinn hat er weder Muster noch Wasserzusammensetzung. Aber er hat eine Art Feld- oder eben Wasser- und Lichtforschung betrieben. Eigenwillig, will heissen nach eigenen Vorgaben. Die Bewegung der Wellen hat er von Stiften in schwimmenden Halbkugeln festhalten lassen oder das Gekräusel des Sees minuziös abgemalt.
 
Im Tagebuch hat er zu einer Zeichnung eines Bootes auf dem leicht bewegten See notiert: ,Grund genug, um über die Oberfläche nachzudenken.’ Ein typischer Hugo-Suter-Satz, diese doppel- und widersinnige Aufforderung an sich, der Oberfläche auf den Grund zu gehen.
 
Spiegelnd oder transparent, klar oder opak, glatt oder matt: Was lässt Glas nicht alles zu? Der riesige ,Paravent’ zeigt exemplarisch, wie vielfältig Suter das Medium Glas beherrscht. Wer über seine Hinterglas-Blumenstillleben staunt, sollte hinter die Milchglasscheiben schauen. Die ,Malerei’ entsteht aus einer Ansammlung bunter Alltagsdinge. Selbst Hauch-Bilder erfindet Hugo Suter. Zeichnungen also, die erst und nur für einen kurzen Moment zu Leben erwachen, wenn man das Trägerglas anhaucht. Ein kleines Wunder und flüchtig wie das Leben.“
 
Insofern Hugo Suter, wie Sabine Altorfer hervorhebt, sich international nicht durchgesetzt hat, wäre es etwas geschraubt zu sagen: „Die Welt hat einen Künstler verloren.“ Es ist viel schlimmer und weit trauriger, dass der Aargau einen Künstler verloren hat. Kultur findet nämlich jeweils vor Ort statt, und was sind „Orte“, wenn sie nicht jeweils ihren Künstler finden?
 
 
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