Textatelier
BLOG vom: 14.12.2013

Boykotte, Waffen der Politik: Etablierte Art von Erpressungen

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Wir alle haben unsere Prinzipien, die vor allem bei unseren privaten und gegebenenfalls auch geschäftlichen Einkaufs- und Handelsaktivitäten zum Einsatz kommen. Gewisse Produkte wie Fleisch aus tierquälerischer Produktion, Kleider aus Kunststoff, genmanipulierte Industrienahrungsmittel mit dubiosen Zusätzen, Waren aus Ländern, die aus irgendeinem Grund unser Missfallen erregt haben, kaufen wir nicht. Wir boykottieren sie. Bei der Breite des Angebots sind wir manchmal froh, Kriterien zu kennen, die uns die Auswahl erleichtern.
 
Die (un-)zivilisierte Menschheit hat sich verschiedene Arten von Boykotten einfallen lassen. Im „Gabler Wirtschaftslexikon“ (12. Auflage, 1988) sind diese dem Wettbewerbsrecht und dem Arbeitsrecht zugeordnet. Wettbewerbsrechtlich geht es um die Aufforderung eines Unternehmens oder Unternehmensverbandes an andere Unternehmen, ihre Geschäftsbeziehungen zu bestimmten Dritten abzubrechen. Allerdings ist das ein Verstoss gegen das Zivilrecht, ein rechtswidriger Eingriff. Arbeitsrechtlich können Boykotte Mittel des Arbeitskampfs wie Streiks oder Aussperrungen sein, um bestimmte Kampfzwecke zu erreichen. Es geht also immer um kollektive Verweigerungshaltungen, die auch Bestrafungen implizieren können.
 
Boykotte sind auch beliebte Druckmittel in der Weltpolitik. Mahatma Gandhi, Anführer der indischen Unabhängigkeitsbewegung, der die britische Kolonialherrschaft mit friedlichen Mitteln niederrang und sich übrigens auch in Südafrika gegen die Rassendiskriminierung wehrte, ist ein allgemein bekanntes Beispiel. Zu seinem gewaltfreien Programm gehörte der Boykott von Importwaren, insbesondere von solchen aus Grossbritannien.
 
Es kommt immer auf die Motive an, ob wir einem Boykott oder einem Embargo (unterbundene Handelsbeziehungen) freundlich oder ablehnend gegenüberstehen. Die grössten Auswüchse in Bezug auf Motivationen von Boykotten sind im Sektor der US-Politik festzustellen, wo diese der Durchsetzung von imperialen Bestrebungen (Weltherrschaft) einerseits und der Bestrafung und Aushungerung unbotmässiger Länder dienen. Über die Dollar-Weltwährung kann fast die gesamte Weltwirtschaft nach dem Willen der Amerikaner gesteuert und gefügig gemacht werden. Die Schweizer Banken erleben dies gerade hautnah und schmerzlich.
 
Embargos, Blockaden
Die US-Handelssanktionen sind keine Massnahmen, die sich bilateral zwischen Amerika und einem einzelnen Staat, der gezüchtigt und gefügig gemacht werden soll (eine Art Wirtschaftsfolter), abspielen. Die USA verlangen von ihren verbündeten Vasallen vielmehr, dass sie sich den Sanktionen anschliessen, ansonsten Abtrünnige für ihre Treulosigkeit ebenfalls durch Boykotte bestraft und wenn immer möglich ruiniert werden. Gerade am 12.12.2013 haben die USA der Ukraine Sanktionen angedroht, wenn dieses Land weiterhin mit Russland kooperieren sollte und nicht abtrünnig wird.
 
Das anmassende, länderübergreifende Vorgehen basiert auf dem 1996 erlassenen Helms-Burton-Act, einem US-Gesetz, mit dem eine gesetzliche Voraussetzung zur weiteren Niederhaltung der ständig attackierten Nachbarinsel Kuba geschaffen wurde. Es wird auch nach dem Händeschütteln Barack Obamas mit dem kubanischen Staatspräsidenten Raúl Modesto Castro in Johannesburg nicht aus dem Verkehr gezogen werden. Es wird nach wie vor global angewandt, um zu verhindern, dass amerikanische Sanktionen von irgendwelchen Staaten unterlaufen werden. Die Embargos werden oft zu Blockaden ausgeweitet.
 
Diese nur scheinbar friedliche Art der Niederhaltung eines Staats wird zur Unmenschlichkeit, wenn auch Nahrungsmittel und medizinische Produkte unter den Boykott fallen (wie das ja auch unter Einbezug von Trinkwasser bei der Unterdrückung von Palästina durch Israel der Fall ist). Man setzt sich rücksichtslos über die Existenzbedürfnisse der Zivilbevölkerung hinweg, schädigt flächendeckend die Lebensgrundlagen von Kindern, Jungen und Alten.
 
Die Embargopolitik nach US-Muster, wie sie seit einigen Jahren auch auf den Iran angewandt wird, um diese Nation am Atombombenbau zu hindern (der Israel aber hintenherum im grossen Stil ermöglicht wurde), schadet vor allem der Bevölkerung; die staatlichen Machtapparate werden von all den Leiden wohl kaum betroffen. In den 1980er-Jahren brauchte es von christlichen Frauengruppen viel Naivität, zu meinen, die südafrikanische Apartheid durch einen Früchteboykott zu beseitigen; beseitigt wurden schon eher die Bauern. Den Rest besorgen Lieferungen von verbilligten Lebensmitteln, mit denen die Einheimischen nicht konkurrenzieren können.
 
Zum Schaden des Volks
Der unschuldige Adressat der Verelendungen, das breite Volk, wird von den Boykotteuren bewusst ins Visier genommen. Bei der von jeder Ethik freien Handlungsweise der Boykotteure fördern sie bewusst die Verelendung der Völker mit einer Staatsführung, die man zum Verschwinden bringen möchte, um gefügige Marionettenregimes zu installieren. Die Vergrösserung von Armut und Not sollen zu landesinternen Aufständen führen, die von aussen angestachelt und mit Waffenlieferungen angeheizt werden und das Zerstörungswerk weitertreiben. Die hereingefallenen Länder, die man zum Beispiel unter dem Begriff „Arabischer Frühling“ zusammenfasst und die praktisch ganz Nordafrika und die arabische Halbinsel bedecken, sind unübersehbare Beispiele dafür. Unglück, Leid und Kummer werden durch die bürgerkriegsähnlichen Zustände vergrössert. Die Zahl der Todesopfer, der Flüchtlinge sowie die Schäden an Städten, Dörfern und Kulturgütern sind unermesslich. Der Westen muss zusehen, wie sich seine Kampfziele (zu denen auch die Rohstoffsicherung gehört) ins Gegenteil verkehren.
 
Die neutrale Schweiz hat leider von ihrem Neutralitätsnimbus eingebüsst. In ihrem zunehmenden Hang zum Mitläufertum, durch eine mehrheitlich schwache Landesregierung eingeläutet, und bei ihrer panischen Angst vor Bestrafungen durch die USA mit deren Heerscharen von Advokaten knickt sie zunehmend ein, wenn US-Wirtschaftssanktionen befohlen sind und die sogenannte „Staatengemeinschaft“ (was immer das auch sein mag) die US-Arroganz mitträgt. Dies geschieht trotz ihres Neutralitätsverständnisses, das bei Güterabwägungen zunehmend in den Hintergrund gerät.
 
Gerade lachhaft wird dieses Theater, wenn infolge wandelnder US-Interessen plötzlich aus Feinden Freunde und aus Freunden Feinde werden (vielleicht kommt es auch mit Kuba so weit). Von einer solchen sprunghaften Politik wurde Burma (Myanmar) zu dessen Erleichterung betroffen. Bisher wurde die äusserst friedfertige, liebenswürdige Bevölkerung, mit der ich auf einer Privatreise durchs Land (1988) selber in Kontakt gekommen bin, in tiefer Armut niedergehalten, das Land insgesamt geächtet. Doch als kürzlich die USA Burma als potenten Wirtschaftspartner entdeckte, wurde es von einem Tag auf den anderen salonfähig, und in Washington wurde in einer bisher unbekannten Tonart von einem peaceful, prosperous, and democratic state“ geschwafelt, ein Sinneswandel-Wunder. Am 20.05.2013 wurde der burmesische Staatspräsident Thein Sein sogar im Weissen Haus mit allen Ehren empfangen. Das bedeutete für die US-Verbündeten im Westen das klare Signal, ebenfalls politische und wirtschaftliche Kontakte aufnehmen und vorantreiben zu dürfen: ein kindisches Verhalten ohne Selbstbewusstsein, wobei ich natürlich den Burmesen einen besseren Lebensstil von Herzen gönnen mag. Der Fall Burma lehrt aber auch, dass es wirksamere Mittel zur Unterstützung von Reformprozessen als die üblichen Kriegsaktionen (Bombardierungen) gibt.
 
Ein Land wie die Schweiz, das etwas auf die Neutralität und sich selber hält, müsste die Ausgestaltung von politischen und handelspolitischen Beziehungen selber bestimmen und bei handelspolitischen Massnahmen genau hinschauen, wem Embargos nützen oder schaden: den Mächtigen oder/und dem breiten Volk. Die Interessen der breiten Volksmassen, die ja in der Regel nicht über ihr Schicksal befinden können, dürften keinesfalls aus irgendwelchen Opportunitätsüberlegungen geopfert werden.
 
Dabei könnte die Handelspolitik durchaus ein bescheidenes Mittel zur Einforderung von Menschenrechten sein, ob es sich nun um den Iran, Nordkorea, China oder die USA handelt. Man muss sich allerdings im Klaren darüber sein, dass solche Wandlungen viel Zeit beanspruchen (Beispiele: China, Russland). Immerhin hat ein moralischer öffentlicher Druck nach Gandhi-Muster bessere Wirkungen als Niederhaltung und Zwang nach dem „Erlkönig“-Motto „... und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt“ (Goethe).
 
Die Rolle der Schweiz
Lang ist’s her: In Bezug auf das Apartheid-Regime in Südafrika nahm die Schweiz eine differenzierte Haltung ein. Man muss sich in solchen Fällen tatsächlich fragen, ob man einer masslos unterdrückten, einheimischen Bevölkerung einen Gefallen tut, wenn man zusätzlich noch das Land wirtschaftlich stranguliert. Seit dem Tod von Nelson Mandela am 05.12.2013, diesem leuchtenden Beispiel für die enormen Wirkungen einer friedlichen Politik, wird das Kapitel Apartheid (Rassentrennung) wieder aufgerollt.
 
Die Schweiz verurteilte die Aufteilung in weisse Ober- und schwarze Untermenschen, sah aber von einer Teilnahme an den internationalen Wirtschaftssanktionen ab. Deshalb wird ihr eine Komplizenschaft mit dem Apartheid-Regime vorgeworfen, wobei gewiss auch wirtschaftlicher Eigennutz mitspielte. Diesbezüglich wird allerdings gern übersehen, dass sich aus geostrategischen Gründen auch die USA, Grossbritannien und die Bundesrepublik Deutschland in Zurückhaltung übten, ohne dass dort ähnliche Selbstbeschuldigungen festzustellen wären. Nur in der Schweiz sehen landesfeindliche, linke Kreise wieder eine Gelegenheit, unser Land rückwirkend international in Misskredit zu bringen. Verschwiegen wird dabei, dass die Schweiz ab 1995 bis 2004 den Transitionsprozess in Südafrika zur Stärkung der dortigen Wirtschaft förderte, was der Bevölkerung zugute kam. Ein Führungsanspruch Südafrikas auf dem Kontinent wurde daraus nicht abgeleitet. Südafrika avencierte zum bedeutendsten Gesamthandelspartner der Schweiz auf dem afrikanischen Kontinent.
 
Immerhin hat (wie in Indien) auch die südafrikanische Geschichte unter Einbezug der prägenden Person Mandela 1994 gezeigt, dass die dringend nötigen Veränderungen auf friedlichem Wege und bei Respektierung der berechtigten Ansprüche der Bevölkerung besser als mit kalten und heissen (Wirtschafts-)Kriegen herbeigeführt werden können.
 
Friedens- statt Kriegspolitik
Die Politik Mandelas (1994‒1999) war unter anderem von einer betont antiimperialistischen Grundhaltung geprägt. Die brutale Machtausübung der weissen Rassisten in Südafrika musste beseitigt werden, ein Prozess ähnlich der Sklaverei und dem Kolonialismus, wobei wie in der Medizin das Prinzip des Nichtschadens die Leitidee sein musste. Ethische Entscheidungen müssen die Politik leiten. Wer sich offensichtlich unmoralisch verhält, verliert an Ansehen, Einfluss und Macht. Genau das werden auch die USA allmählich zu spüren bekommen, deren Kriegspolitik sie selber nicht nur ins finanzielle Abseits drängen werden, sondern sich generell als Verlust von Ansehen bemerkbar machen wird.
 
Ich bin alles andere als ein Armeegegner; bei der heutigen US-geprägten, unberechenbaren Brutalopolitik sieht sich jedes auf Unabhängigkeit bedachte Land gezwungen, Verteidigungsanstrengungen zu unternehmen, sich zu wappnen. Wahrscheinlich kann sich dies erst ändern, wenn die Einsicht obsiegt, dass Korrekturen mit friedlichen Mitteln effektiver als durch die Aushungerung ganzer Völker und Aktionen der verbrannten Erde sind. Gandhi und Mandela können als Lehrer herbeigezogen werden.
 
Doch wird man das jetzt, nach den fulminanten Beerdigungsfeierlichkeiten für Nelson Mandela, gleich wieder vergessen.
 
 
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