Textatelier
BLOG vom: 15.06.2014

Twitternde Eiche und die sich wehrende Tomatenpflanze

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
 
Die Pflanzen haben raffinierte Abwehrstrategien gegen ihre Frassfeinde entwickelt, sie schrecken sogar vor „Auftragsmorden“ nicht zurück.
 
Das Projekt „Talking Tree“ war ein Projekt von „Spektrum der Wissenschaft“ in Zusammenarbeit mit dem Institut für Geografie an der Universität Erlangen-Nürnberg und EuroNatur. Das Projekt lief vom Sommer 2011 bis zum Sommer 2012 und wurde von der Siemens AG unterstützt.
 
Dazu wurde eine 150 Jahre alte Eiche mit modernen Messgeräten „vernetzt“. Die Ergebnisse und der aktuelle Zustand des Baums mittels einer Kamera konnte man auf ihrer Homepage und Twitterseite ansehen. Die Ergebnisse des Projekts sind in diesem Blog weiter unten aufgeführt.
 
In 2 Blogs beschrieb ich am 28. und 29.11.2007 die Gefühlswelt von Pflanzen (Teil 1: „Die Tomaten schätzen Mozart“, Teil 2: „Wenn die Pflanze gereizt wird“. Aus dem Teil 2 folgt ein Auszug).
 
Verblüffende Abwehrstrategien
In einem Nationalpark in Südafrika verendeten vor etlichen Jahren Giraffen auf unerklärliche Weise. Sie wiesen keine sichtbaren Verletzungen auf. Die Lieblingsnahrung dieser Giraffen waren Blätter von Akazienbäumen. Wie der Fernsehsender VOX am 14.01.2001 berichtete, fanden Forscher in den Blättern hohe Konzentrationen an Tannin. Und dieser Gerbstoff war für die Giraffen tödlich. In der Regel fressen Giraffen diese Blätter gern, ohne dass es zu Vergiftungserscheinungen kommt. Als es nämlich noch keine Parks gab, entstand ein natürliches Gleichgewicht zwischen Giraffen und Akazienbäumen. Das Gleichgewicht wurde in den von Touristen stark frequentierten Parks gestört, und die Akazien begannen, verstärkt Tannin zu produzieren und Ethylen freizusetzen (damit wurden auch die anderen Bäume gewarnt). Sie wollten nicht, dass ihre Blätter gefressen werden.
 
In freier Wildbahn haben die Giraffen und Antilopen ebenfalls eine Strategie entwickelt. Sie meiden die Blätter mit hoher Tanninkonzentration, fressen immer gegen die Windrichtung. Die Tiere sind so schlau, dass sie alle Bäume meiden, die zu nahe bei denen stehen, deren Blätter sie vorher abgefressen haben.
 
Forschungen ergaben, dass Pflanzen mit Duftstoffen kommunizieren. Pflanzen sind auch befähigt, mittels Duftstoffe tierische Nützlinge anzulocken, die dann die Schädlinge auffressen. Offenbar kommunizieren bestimmte Tiere mit den Pflanzen. Ein beinahe unglaublicher Zusammenhang.
 
David Rhoades und Gordon Orians, Chemiker und Ökologen, gingen einem Naturphänomen nach. In den Wäldern rund um Seattle wurden alle 10 Jahre Birken und Weiden von Schädlingen befallen. Die Insekten frassen die Blätter und verhungerten nach einiger Zeit. Die Forscher brachten heraus, dass sich die Pflanzen wehrten, indem sie die Zusammensetzung der Proteine in den Blättern änderten. Die gefrässigen Schädlinge konnten daraufhin nicht mehr Bakterien abwehren, so dass sie bald darauf auf Grund eines Proteinmangels starben.
 
Weiter weg stehende Bäume, die noch nicht von den Insekten heimgesucht wurden, veränderten die Blattchemie. Lange rätselte man, wie die Pflanze dies bewerkstelligt. Endlich kam man dahinter. Es ist das von der Pflanze produzierte Ethylen, das die anderen vor einer Gefahr warnte.
 
Nach Schätzungen geben Pflanzen weltweit jedes Jahr 70 Millionen Tonnen Ethylen in die Atmosphäre ab. Der gasförmige Botenstoff steuert den Blattfall. Dadurch schützen sich die Pflanzen vor dem Erfrieren. Pflanzen sollen zwischen 40 und 50 verschiedene Substanzen verströmen.
 
Die Pflanzen haben eine Strategie entwickelt, sich zu wehren. Sie können ja nicht fortlaufen. So erzeugen Maispflanzen einen Duftstoff, der bei einem Raupenbefall erzeugt wird. Dieser Duftstoff lockt die Schlupfwespen an, die dann ihre Eier in den Schädling ablegen. Die sich daraus entwickelnden Larven fressen die Raupe von innen her auf.
 
Ted Turling von der Universität Neuenburg und die Jenaer Forscher konnten nachweisen, dass der Speichel der Raupen die Duftproduktion auslöst.
 
Die Tabakpflanze erkennt Schädlinge
Wie schafft es die Tabakpflanze, zu wissen, mit welchem Schädling sie es zu tun hat? Normalerweise produziert die Tabakpflanze mit Hilfe der Jasmonsäure, die beim Anknappern durch eine Raupe entsteht, das Nikotin in der Wurzel und verteilt es auf alle Teile der Pflanze. Durch diese Massnahme schlägt sie die meisten Schädlinge in die Flucht. Nur die Raupen des Tabakschwärmers scheren sich nicht darum. Sie sind nämlich befähigt, in ihrem Körper Nikotin ohne Schaden zu speichern. Aber die Tabakpflanze kann sich trotzdem wehren. Sie produziert einen Stoff, der die Verdauung der Raupen in Unordnung bringt.
 
Die sich wehrende Brennnessel
Wenn wir mit der Hand eine Brennnessel berühren, brechen die Köpfchen der kieselsäurehaltigen Brennhaare ab, und die zurückbleibenden Haarschäfte dringen wie eine Injektionskanüle in die Haut. Es werden Histamin, Acetylcholin und Ameisensäure in die Haut „injiziert“. Die Haut reagiert mit einem Brennen und mit einer Quaddelbildung.
 
Dieser Vorgang ist eine Abwehrreaktion der Pflanze. Erfolgt eine Blattverletzung, nimmt die Dichte der Brennhaare auf allen sich neu entwickelnden Blättern zu.
 
Die twitternde Eiche
Früher soll Charles Darwin Pflanzen mit einer Trompete beschallt haben. Er wollte wissen, ob Töne das Pflanzenwachstum beeinflusste. Aber er hatte Pech, die Pflanzen wuchsen nicht schneller.
 
Heute nutzen Wissenschaftler die moderne Technik, um mehr über die Pflanzen zu erfahren. Im Botanischen Garten von Erlangen haben die Forscher eine 150 Jahre alte Stieleiche mit Messgeräten ausgestattet. Gemessen werden der Einfluss des Wetters (Wind, Trockenheit, Sonne, Temperatur) und der Umweltgifte (Feinstaub, Ozon u. a.), dann die Wirkung von Schadinsekten, der Wasserdurchfluss und die Stammdicke. Dazu nähere Erläuterungen:
 
Umweltgifte: Diese können das Immunsystem der Eiche aktivieren.
 
Ungeziefer: Pflanzen haben offenbar ein „Gedächtnis“. So können Pflanzen Schädlinge, die schon einmal an ihren genagt haben, erkennen und eine schnellere Abwehr in Gang setzen.
 
Wetter, Sonne, Temperatur: Eine Wetterstation am Baum sammelte alle Daten. Bekannt war, dass Sonne und warme Temperatur den Stoffwechsel des Baums aktivieren. So wurden die Windgeschwindigkeit und Windrichtung mit einem Anemometer und die Menge an Regen, Tau oder Schnee mit einem Pluviografen und die Temperatur mit einem Thermometer gemessen. Fotoelektrische Sensoren zeichneten die Sonnenscheindauer auf.
 
Wasserdurchfluss: Ein Saftflussmesser misst die Menge des Wassers, das der Baum über die Wurzeln aufnimmt und in die Blätter transportiert.
 
Stammdicke: Nimmt ein Stamm an Dicke zu, funktioniert sein Stoffwechsel gut. In trockenen Zeiten erfolgt eine geringere Dickenzunahme. Die Dicke wird mit einem Dendrometer gemessen.
 
Die Daten, die an eine zentrale Recheneinheit übermittelt wurden, flossen ins Forschungsprojekt „Bäume im Klimawandel“ ein. Infos und ein Video sind unter folgenden Internet-Adressen einsehbar:
 
Die Daten der twitternden Eiche wurden über ihre Homepage und Twitterseite im Internet übermittelt. Besucher der Website konnten beobachten, wie sich die Eiche im Jahreslauf wandelte. Eine gute Idee.
 
Weitere Forschungen: Die Erlanger Forscher vermessen auch Bäume in Städten und ländlichen Gegenden. Sie wollen ermitteln, wie sich Bäume in Zeiten des Klimawandels anpassen. Dazu Cathrin Meinardus: „Bisherige Studien zeigen, dass die bei uns vorherrschenden Wälder aus Buchen und Eichen weniger anfällig gegenüber den zu erwartenden Veränderungen sind. Nasse Frühjahre und trocken-heisse Sommer machen diesen Bäumen weniger zu schaffen als andere Arten.“
 
Anke Jentsch, Professorin an der Uni Bayreuth hat zusammen mit Julia Walter vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung eine erstaunliche Entdeckung gemacht: „Pflanzen können sich an Zeiten der Dürre erinnern und sich daher besser schützen, wenn sie erneut unter Wassermangel leiden.“ (Zitate aus „Die Welt“).
 
„Auftragsmorde“
Auch davor schrecken die Pflanzen nicht zurück, wie gesagt. Sie rufen Hilfe herbei, wenn sie angefallen werden. Legt ein Ulmenblattkäfer seine Eier auf Ulmenblätter ab, wird der Baum aktiv. Er gibt Substanzen an die Luft ab. Diese locken damit Erzwespen heran, die sich dann genüsslich über die Schädlinge hermachen.
 
Auch die Kartoffelpflanze wehrt sich, sobald sich die Larven des Kartoffelkäfers an den Blättern ihr Unwesen treiben. Die von der Pflanze ausgesandten Signale locken Raubwanzen an, die mit ihrem Rüssel in die Larve stechen und aussaugen.
 
Die Tomatenpflanze wehrt sich
Die wilde Kartoffel, der Tabak und die Tomatenpflanze haben Drüsenhaare auf den Blattoberseiten. Kommt eine Blattlaus daher und beginnt, ein Blatt anzunagen, sondern die Drüsenhaare ein klebriges Sekret ab. Das bekommt der Blattlaus nicht gut, sie klebt fest und verhungert. Sie hat aber noch eine ganz andere Strategie in petto.
 
Eine schöne Nachbarschaftshilfe: Tomatenpflanzen warnen sich gegenseitig vor Frassfeinden, wie japanische Forscher in den Proceedings der US-amerikanischen Akademie der Wissenschaften („PNAS“) berichteten.
 
Sobald eine Tomatenpflanze von Frassfeinden heimgesucht wird, erfolgt eine verstärkte Produktion von Abwehrstoffen in den Blättern der Nachbarpflanzen. Das war auch bei einigen anderen Pflanzen der Fall (Tabak, Mais). Die Forscher wollten wissen, welcher Stoff am Abwehrsystem verantwortlich ist. In den Blättern wurden sie fündig: Sie entdeckten einen erhöhten Anteil des Stoffs HexVic. Dieser hemmt das Wachstum der Schmetterlingslarven. Befallene Pflanzen senden auch einen Vorläuferstoff von HexVic als Haup0tkomponente gasförmig aus. Die Schlussfolgerung der Wissenschaftler (dpa-Meldung am 03.05.2014): „Die Tomatenpflanzen senden nicht nur chemische Warnmeldungen aus, sie liefern anderen Pflanzen sogar einen Grundstoff für die eigene Verteidigung.“
 
Die Forschungen gehen weiter. So beteiligen sich die Erlanger Wissenschaftler an einem Projekt des bayerischen Forschungsverbundes „FORKAST“. In diesem Projekt werden Auswirkungen klimatischer Extremereignisse auf Wälder und Trockenstandorten ermittelt. Infos unter:
 
 
Literatur
Lingenhöhl, Daniel: „Der vernetzte Baum“, (www.spektrum.de).
Lützenkirchen/Gudermann: „Pflanzen wehren sich“ (www.planet-wissen.de).
Resetz, Benjamin: „Hirn im Erdreich“, „Der Sonntag“, 28.03.2010.
von der Weiden, Silvia: „Die twitternde Eiche“, „Die Welt“, 13.09.2011.
 
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