Textatelier
BLOG vom: 02.07.2015

Faszinierende Welt im Wassertropfen

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D

 

Eine völlig neue, geheimnisvolle und wunderbare Welt erschliesst sich dem Naturfreund, wenn er mit Hilfe eines Mikroskops einen Tropfen Wasser aus einem Tümpel, See, Fluss oder aus dem Meer untersucht.

Die bewegte und vielseitige Welt im Wassertropfen besteht aus tierischen (Zooplankton) und pflanzlichen (Phytoplankton) Lebewesen. Zum Zooplankton gehören u.a. verschiedene Einzeller, Rotatorien, Pfeilwürmer, Fischlarven und Krebstiere (Ruderfusskrebse, Krill = garnelenartiges Krebstier). Das pflanzliche Plankton setzt sich aus Kieselalgen, Grünalgen, Dinoflagellaten zusammen. Verschiedene Untersuchungen ergaben, dass die grösste gebundene Menge an Kohlenstoff im pflanzlichen Plankton der Weltmeere gebunden ist.

Häufige Bewohnern in unseren Gewässern sind Glockentierchen, Algen, Augentierchen, Rädertierchen, Moostierchen, Pantoffeltierchen, Kelchtierchen, Süsswasserpolypen, Wasserflöhe, Krebse, Kiesel- und Grünalgen.


Plastikabfälle und Überdüngung

Das tierische Plankton produziert in grossen Mengen organische Substanz, welche bestimmten Wassertieren als Nahrung dient. So sind beispielsweise die riesigen Bartenwale (Blauwal, Finnwal) auf tierisches Plankton als Nahrungsgrundlage angewiesen. Mit Hilfe von Barten, das sind Hornplatten im Oberkiefer anstelle von Zähnen, filtrieren sie Nahrung aus dem Wasser heraus. Schon die Tatsache, dass die grössten Säugetiere des Meeres sich von Plankton ernähren können, zeigt uns, welche Mengen an Planktonorganismen im Meerwasser vorkommen.

Aber es droht eine Gefahr. Durch die im Meer treibenden Plastikabfälle bilden sich durch Sonne, Salzwasser und Wellen kleine Teilchen von Planktongrösse. Dieses „Plastik-Plankton“ nehmen die planktonfressenden Meerestiere auf und können sogar daran sterben. Wenn wir dann Fische, Muscheln und Krebse konsumieren, nehmen wir Plastikbestandteile und die am Kunststoff resorbierten Giftstoffe auf.

Wenn es zu einer Überdüngung des Gewässers mit Phosphat kommt, entsteht eine massenhafte Vermehrung von Algen oder Cyanobakterien (auch als Blaualgen bezeichnet). Eine solche „Algenblüte“ beobachteten wir einmal an der Adriaküste. Auch in Dubai soll es immer wieder zu einer Algenblüte kommen. Es kam dann zu einer kurzzeitigen Schliessung von Stränden.

Biologen können anhand von Leitorganismen bestimmte Verschmutzungsgrade, die in Wassergüteklassen (I bis IV) festgelegt sind, im Wasser feststellen.


Das Kieselalgenwunder

In meiner Jugend beobachtete ich einen Mann bei einer seltsamen Tätigkeit. Er fischte am Rande eines Tümpels mit einem Netz in einer braunen, schleimigen Masse, die auf der Oberfläche schwamm, herum. Neugierig trat ich näher und erfuhr, dass er ein „Planktonjäger“ sei. Er sammelte die Kleinlebewesen mit Hilfe eines Netzes aus Gaze ein, um die „Beute“ sogleich mit Hilfe eines Taschenmikroskops zu sichten. Dann zeigte er mir eine weitere Quelle von Plankton: die braungefärbten Steine und Pfähle im Wasser. Durch Abkratzen gewann er eine ansehnliche Menge des Materials.

Von nun an ging ich selbst auf Jagd nach Kleinlebewesen. Besonders fasziniert war ich von den Kieselalgen. Die Kieselalgen, auch Diatomeen genannt, findet man im Meer- und Süsswasser, ferner im Ackerboden. Die zarten Plasmakörper der Kieselalgen sind in Kieselsäurepanzer untergebracht. Sie sind von unterschiedlicher Form und mit fast unvorstellbar feinen Rillen, Rippen und Poren verziert. Manche besitzen zahlreiche Borsten, Stacheln, Hörner und Membranflügel. Dadurch wird die Schwebefähigkeit erhöht. Die Kieselsäurepanzer sind so gebaut, dass mit Hilfe eines kleinen Materialaufwandes eine hohe Stabilität erreicht wird. Man könnte diese mit technischen Analoga, etwa Kuppel- oder Spantenbauten, vergleichen. Diese Wunderwerke der Natur sind so winzig, dass etwa 700 nebeneinandergelegt erst einen Millimeter messen.

Die Kieselerde setzt sich zu 98 % aus Siliziumdioxid zusammen. Sie besteht im Wesentlichen aus den Panzern von Kieselalgen. Im Handel gibt es Kieselerde-Präparate (Pulver, Tabletten), die nicht nur die Abwehr stärken, sondern die Haut länger straff und elastisch halten und Haare und Nägel festigen.


Aufregende Entdeckung beim Wasserfloh

Sehr zahlreich sind Wasserflöhe (Daphnien) in unseren Gewässern vertreten. Kräftige Ruderantennen übernehmen bei den Daphnien die Fortbewegung. Lebende Daphnien unter dem Mikroskop zu betrachten, macht sehr viel Freude, weil gerade diese Tierchen verhältnismässig viele Einzelheiten erkennen lassen. Man erblickt Antennen, Komplex-Auge (dieses besteht aus 22 Einzelaugen), After, Brustraum, Darm, Embryonen, Kiemensäckchen und das Ovarium. Gut sichtbar ist das heftig schlagende Herz. Die Kontraktionen sind temperaturabhängig. Bei 10 °C sind es 170, bei 28 °C 300 Schläge pro Minute. Das schlagende Herz ist wohl die aufregendste Beobachtung, die ich je gemacht habe. Vom Herzen ausgehende Blutgefässe fehlen, das Blut wird durch feine Membranen in seine Bahnen gezwungen.

Das Erbgut des Wasserflohs ist entschlüsselt. Es enthält 30 907 Gene bei 200 Millionen Basenpaaren. Der Mensch hat nur 20 251 Gene, aber 3 Milliarden Basenpaare. Der Wasserfloh hat die bislang höchste Zahl an Genen im Tierreich. Durch diese „Ausstattung“ ermöglicht es dem Wasserfloh, sich besser an Veränderungen in der Umwelt anzupassen.

Die Weibchen des Wasserflohs sind grösser (3-4 mm) als die Männchen (1-1,5 mm).

In den meisten Wasserproben findet man Grünalgen (bekannt sind 8000 Arten). Bei der Endorine, einer Grünalgenart, sitzen die einzelnen Zellen als grüne Kügelchen in einer klaren Gallertkugel; jede ihrer 8 oder 16 Einzelzellen sendet 2 Geisselfäden durch die Gallerte nach aussen. Sie dienen der Fortbewegung dieses Miniaturwesens, das rotierend durch das Wasser schwebt.


Pflanzliche Sklavenhaltung

Eine Pantoffeltierchenart (Paramecium bursaria) enthält etwa 30 bis 40 Chlorella-Algen. Die Algen unterstützen das Tierchen bei seiner Ernährung. Früher war man der Ansicht, es handle sich um Chloroplasten, also die Chlorophyllbehälter, die auch in den Blättern vorkommen. Dass dies nicht so ist, konnte eindrucksvoll bewiesen werden. Forscher trennten die Algen unter dem Mikroskop vom lebenden Pantoffeltierchen ab. Das Tierchen gedieh weiterhin prächtig, sofern es genügend Nährstoffe erhielt; es „verhungerte“, sobald es in eine nährstoffarme Lösung gebracht wurde. Die Algen genossen die Freiheit ebenso; und sie wuchsen und vermehrten sich, als wäre nichts geschehen. Nun unternahmen die Forscher einen weiteren Versuch. Sie fügten zur Nährlösung den Typ der blaugrünen Algen hinzu, auf den sich das Pantoffeltierchen spezialisiert hatte. Das Tierchen nahm beim ersten Kontakt die Algen auf. Die gefangenen Algen wurden nicht verdaut, sondern integriert. Im Plasma des Pantoffeltierchens vermehrten sich die Algen. Dabei ist beachtenswert, dass sich die Algen nur so lange teilten, bis für die Art entsprechende Anzahl „Sklaven“ entstanden sind, erst dann hörte die Teilung auf. Wahrscheinlich wird dies durch Steuermechanismen des Pantoffeltierchens geregelt. Es ist jetzt jedem bewusst, dass so ein ausgestattetes Pantoffeltierchens auch eine nahrungsarme Zeit überdauern kann, da die Algen in der Lage sind, mittels Fotosynthese Grundstoffe aufzubauen.

Und noch ein Besonderheit ist zu erwähnen: Sobald das Pantoffeltierchen die genaue Anzahl Algen als „Sklaven“ besitzt, verdaut es ohne zu zögern neu eingefangene Algen. Die Tierchen müssen ihre Bewohner markiert haben, so dass eine Unterscheidung möglich ist.

Die Pantoffeltierchen haben eine Länge von 0,05 bis 0,32 mm. Die Riesen unter den Einzellern sind als weisse Pünktchen in einem Wassertropfen sichtbar. Die Fortbewegung erfolgt durch Wimpern (Zilien). Jedes Tierchen hat etwa 10 000 solcher Wimpern. Die Ernährung erfolgt durch Bakterien.

Fazit: Diese wenigen Beispiele lassen die vielfältige Formenwelt, den wunderbaren Bau der Kleinstlebewesen nur erahnen. Der Naturfreund entdeckt immer wieder aufregende Neuigkeiten, wenn er eindringt in diese winzige, aber schon mit wenig Mühen zugängliche Welt. Er braucht nicht weit zu gehen, um sich Material in Hülle und Fülle zu besorgen. Es gibt nämlich nur ganz wenige Gewässer auf dieser Erde ohne Plankton.

 
Literatur

Galliker, Pedro: „Abenteuer Mikrowelt“ (Exkursionen in die geheimnisvolle Welt der Kleinstlebewesen), Haupt Verlag, Bern 2007.

Scholz, Heinz: „Unter`m Mikroskop: Wunderwelt im Wassertropfen“, Reform-Rundschau“, 02/2015.

Streble, Heinz; Krauter, Dieter: „Das Leben im Wassertropfen“ (Mikroflora und Mikrofauna des Süsswassers; ein Bestimmungsbuch), Franck-Kosmos Verlag, Stuttgart 2010.

 
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