Textatelier
BLOG vom: 25.10.2015

Die prickelnde Spannung vor einer Reise

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Deutschland

 

Gibt es das noch? Wo doch das Reisen kein Höhepunkt mehr ist. Wo selbst Flugreisen etwas ganz Gewöhnliches geworden ist. Empfinden die vielen Menschen auf den Bahnhöfen, an den Fernbushaltestellen, auf den Flughäfen noch diese prickelnde Spannung, die sich einstellt, wenn etwas Unbekanntes, etwas Ungewöhnliches, ein kleines oder grosses Abenteuer bevorsteht?

Anzusehen ist es ihnen kaum, eher die Hektik, den Anschluss nicht zu verpassen, die Sorge, nicht weiter zu kommen und „zu stranden“, Ängste vor allem Möglichen: vor Dieben, vor Verlust; Ärger über zu hohe Preise für Erfrischungen oder wenn die kostenlosen Magazine vergriffen waren.

Vielleicht ist sie in den Gesichtern, in der Gestik und Mimik nicht auszumachen. Findet dieses Gefühl der Vorfreude nur im Innern des Menschen statt? Manifestiert es sich durch einen leicht erhöhten Blutdruck und Pulsschlag?

Manche bezeichnen es als Stress. An so viele Dinge hat man zu denken, so viel zu entscheiden. Was nehme ich mit, was nicht? Muss ich Vorsorgemassnahmen für die Gesundheit ergreifen? Nehme ich den Koffer mit Rollen oder doch einen Rucksack? Was ist überflüssig, was muss auf jeden Fall eingepackt werden? Habe ich das zulässige Gewicht bei einer Flugreise schon überzogen oder bin ich noch im Rahmen des Erlaubten? Ist mein Pass griffbereit, meine Fahrkarte, mein Geld? Ein Visa benötige ich nicht oder etwa doch?

Reiseveranstalter nehmen ängstlichen Zeitgenossen viele Bedenken ab, sie gehen planmässig vor, sorgen für alles. Aber ist das dann noch Reisen? Macht das nicht den Reiz aus, sich selbst darum zu kümmern?

„Wie war’s?“, frage ich das Ehepaar nach der Kreuzfahrt. „Das Essen auf dem Schiff war zu reichlich. Das Freizeitangebot unübersehbar. Die Mitreisenden alle in unserem Alter. Die Strände waren nie voll und wunderschön.“ „Und was habt ihr gesehen?“ „Ein paar Stunden in dieser Stadt, eine Besichtigungsfahrt zu jenem Heiligtum, der Reiseleiter hat uns viel darüber erzählen können.“ „Und was habt Ihr davon noch behalten?“ Schweigen. „Es war schön. Wir mussten uns um nichts kümmern. Die Hotels waren immer sauber und die Bedienung nett und hilfsbereit.“ „Habt Ihr mit ihnen gesprochen?“ „Dazu reichten unsere Sprachkenntnisse nicht.“

Solche Reisen erzeugen keine Vorfreude mehr. Die Reise wird angetreten, es herrscht Anpassungszwang an die Gruppe, man lässt sich treiben. Eigeninitiative ist nicht gefragt, im Gegenteil, es wird davor gewarnt, es könnte gefährlich werden! Schliesslich ist man nicht zu Hause, sondern in einem fremden Land! Aber: man kann sagen, dort war ich auch schon einmal. Wirklich?

Nicht für mich! Keine organisierten Reisen! Kein bis ins Kleinste geplanter Ablauf! Ohne Risikobereitschaft kein Abenteuer. Informationen ja, Grobplanung ja, aber wo es mich hinführt, soll spontan entschieden werden!

So habe ich es schon immer gemacht. Sogar mit der ganzen Familie. Und es hat immer geklappt, immer gab es eine Übernachtungsmöglichkeit, immer gab es freundliche hilfsbereite Menschen, wenn ein Problem auftauchte. Und es gab Einladungen, Kontakte, Gespräche mit „wildfremden“ Eingeborenen.

Es prickelt in mir, eine Reise steht bevor! Meine Temperatur ist leicht erhöht. Die Spannung steigt!

 


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