Textatelier
BLOG vom: 16.03.2018

Die simple Drohung mit dem Heim

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/D


Das kleine Wort Heim ruft verschiedene Assoziationen hervor, sie reichen von der Wohnung unter dem Aspekt der Geborgenheit und dem Zuhause, über dem Heim ins Reich von den 1920er Jahren an, das ein Schlagwort für die nationalsozialistische Politik, sich die angrenzenden Staaten einzuverleiben, war, bis zum Heimgang, als christliche Einstellung zum Tod.

Die simple Androhung ins Heim gehen zu müssen und die damit verbundene Angst, dorthin abgeschoben zu werden, ist aktueller denn je.

Diese Ängste sind nicht eingebildet. Die dorthin eingewiesene Person wird aus dem familiären Raum ausgestossen oder zumindest bei Alleinlebendenden aus ihrem sozialen Umfeld. Weiteres Angstpotential hat seine Berechtigung, denn von eklatantem Fehlverhalten in diesen Einrichtungen konnte man in den letzten Jahren zur Genüge in den Medien erfahren.

Da gibt es die immer öfter ans Licht der Öffentlichkeit tretenden Berichte von drangsalierten und misshandelten Kinderseelen und -körpern, nicht selten auch in Kinder- und Jugendheimen mit Führungspersonal aus christlichen Kreisen. Dass diese Vorkommnisse nicht nur in Deutschland passierten, sondern auch aus anderen europäischen Ländern berichtet werden, es also scheinbar ein weit um sich greifendes Phänomen ist, zeigt auf, welche Abgründe sich überall auftun. Immer mehr Verstrickungen werden aufgezeigt, ob es sich um Deutschland, Irland oder um andere Länder handelt. Kinder wurden in Heimen nicht nur sexuell und körperlich misshandelt, sondern oft genug auch noch ausgebeutet. Die christlichen Kirchen haben es gewusst und Jahrzehnte lang dazu geschwiegen. Erst die massiven Vorwürfe und Beschuldigungen Betroffener haben zu einem, jedenfalls geben das kirchliche Kreise an, Umdenken geführt und doch zu wenigen Verurteilungen.

Nicht selten berichten noch Jahrzehnte danach traumatisierte Erwachsene von der besonderen Grausamkeit katholischer Nonnen und auch von Priestern. Sogar über auftretende Todesfälle durch Misshandlung von Kindern konnte man in den Medien lesen.

Eltern, die besonders in der wirtschaftlich wie sozial schwierigen Nachkriegszeit, oftmals auch wegen der Traumata der aus dem Krieg und aus der Gefangenschaft zurück gekommenen Väter, dachten, mit einer Heimeinweisung des in diesem Milieu auffällig gewordenen Kind für ihn etwas Gutes zu tun. Oft genug war es ein Gang vom Fegefeuer in die Hölle.

Diese Berichte aus Kinderheimen sind seltener geworden, der pädagogische Ansatz hat sich geändert, Kindesmisshandlung ist im Focus der Öffentlichkeit angelangt. Es waren nicht nur Heime, sondern auch Vorfälle in Jugendfreizeiten, Sportvereinen und anderswo. Heutzutage scheint die Schamgrenze bei den Betroffenen, darüber zu berichten, sich geändert zu haben, so dass eine Entdeckung einer solchen Tat Konsequenzen für den Täter nach sich zieht.

Medien berichten vorwiegend Negatives. Es gibt sicherlich viele solche Heime und Freizeitaktivitäten, in denen so etwas nicht vorkam und die segensreich für die Kinder gewirkt haben. Ich will also keineswegs über alle diese Institutionen den Stab brechen.

Dennoch, das Dasein am Anfang des Lebens konnte und kann grausam und lebensbedrohend sein, wenn das Kind in eine solche Abhängigkeit geraten war. Das wiegt umso mehr, als dass die Opfer, wie es so blumig ausgedrückt wird, ein Leben noch vor sich
hatten und durch diese Erlebnisse nicht selten ihr ganzes Leben hindurch psychisch belastet und geprägt worden sind.

Liest und hört man in letzter Zeit etwas weniger von Horrormeldungen dieser Art, kommen jetzt immer mehr solche ans Tageslicht, die das Dasein in den letzten Jahren des Lebens betreffen.

Monat für Monat wird über den, das Problem in der Wortwahl verniedlichenden, Tatbestand des Pflegenotstandes berichtet. Es fehlen an allen Ecken und Enden Pflegekräfte. In den Heimen wird fleissig gespart, ja man könnte sagen auf Teufel komm’ raus. Viele von ihnen geben nach einigen Jahren entnervt und abgearbeitet auf, weil sie die Last der Arbeit und die damit einhergehende Entwürdigung der ihnen Anvertrauten nicht mehr ertragen und tagtäglich mit der Mangelsituation leben müssen. Und das bei einer Bezahlung, die keinesfalls mit ähnlichen Leistungen in anderen verantwortungsvollen Tätigkeitsfeldern mithalten kann.

Dahinter steckt das unendliche Leid von alten Menschen, die sich oft genug, nicht mehr selbst wehren können und dem hilflos ausgesetzt sind, manchmal auch den Grausamkeiten der Pflegekräfte, die zum Beispiel gewollt oder gezielt ihre Heimbewohner in kot- und urinverschmutzten Betten stundenlang liegen lassen.
Bisher sind es nur Einzelfälle, diese Berichte über Pfleger und Pflegerinnen, die einen oder mehrere Patienten durch Injektionen in den Tod geschickt haben.

Da zählt nicht mehr die Lebensleistung der älteren Menschen, sondern der Pflegeanspruch, der ihr eigentlich entsprechen sollte. Pflegebedürftige fallen der Gesellschaft zur Last, die Privatisierung vieler Altenheime, deren Geldgeber aus ihrem Tun auch noch Profit erwirtschaften wollen und müssen, machen die Situation noch bedrohlicher. Ältere sind vor allem in den Augen Vieler unnütze und unproduktive Kostenträger.

Die neue deutsche Bundesregierung verspricht 8000 neue Pflegekräfte, ein Hohn bei insgesamt 12000 Pflegeheimen und bei der Tatsache, dass diese Pflegekräfte überhaupt nicht auf dem Arbeitsmarkt verfügbar sind.

Die grosse Koalition ist aus sich selbst christlich und sozial nennenden Parteien gebildet worden. Aber das scheinen inzwischen Bezeichnungen zu sein, die die Parteien selbst nicht mehr ernst nehmen. Alle drei Parteien sehen ihre politische Aufgabe eher darin, wirtschaftlichen Interessen zu dienen. Dabei fallen die Bedürfnisse eines Teils der Bevölkerung hinten runter.

Aber sie wollen auch wiedergewählt werden. Und wenn dann Stimmen laut werden, die davor warnen, dass Deutschland überfremdet werden könnte und in ferner Zukunft die Deutschen eine Minderheit bilden könnten, wird auch einer sinnvollen Einwanderung ein Riegel vorgeschoben. Sind beispielsweise die erforderlichen Pflegekräfte nicht unter Deutschen zu finden, wäre es nicht praktisch, sie unter den Neuankömmlingen zu suchen?

So lange noch die Aussage Heimeinweisung Ängste hervorruft, so lange stimmt etwas mit unserem System nicht.

Mit dem Ausblick auf die demografische Entwicklung, der zufolge es in den nächsten Jahren und Jahrzehnten immer mehr betagte Menschen geben wird, ist dringend ein Umdenken erforderlich.

Die Altenpflege muss für junge Menschen attraktiv werden. Es ist zu überlegen, ob es andere Wege gibt, als Heime dem wirtschaftlichen und Profitgedanken auszusetzen.

In einem angeblich so reichen Land wie Deutschland,(es mag dahingestellt sein, ob der Reichtum wirklich richtig verteilt ist, denkt man an die vielen Missstände im Land, wie der Situation in Altenheimen, den teilweise maroden Strassen und Brücken, der unzureichenden Digitalisierung, den sanierungsbedürftigen öffentlichen Einrichtungen, etwa der Schulen, den bedürftigen Mitbürgern, die ihre Nahrungsmittel von Tafeln holen müssen, u.v.m.), sollte zumindest die mit dem Grundgesetz eingegangene Verpflichtung, ein sozialer Staat mit einer sozialen Marktwirtschaft sein zu sollen, endlich umgesetzt werden.

Erst dann wird die als Drohung empfundene Aufnahme in ein Heim nicht gleichgesetzt mit dem das Lebensende bedeutenden Heimgang.

 


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